Der Orthografie-Check: Michas Vorwort in Plastic Bomb Nummer 91

Also jetzt mal Butter bei die Fische beziehungsweise Nieten bei die Jacke, sprich den Rotstift an das neue Plastic Bomb. Ist die Gegenkultur wirklich bedroht, in Schimpf und Schande zu vergehen, weil das Flaggschiff der Autodidakten in Akten sprachlicher Willkür geradewegs in ein babylonisches Nirwana steuert?

Exemplarisch habe ich mir mal das Vorwort von Micha aus Plastic Bomb Nummer 91 angesehen, um es auf die von Basti angesprochene hohe Fehlerquote bezüglich der Orthografie zu untersuchen. Im Hintergrund lasse ich die Neurotic Arseholes … bis zum bitteren Ende laufen, um ein Gleichgewicht zwischen Plastic Bomb und Duden herzustellen.

m-1Schließlich geht es in dem Text um die Tücken, diesen Klassiker legal neu aufzulegen und die dazu gehörige Hartnäckigkeit.

Ich habe dazu den Text abfotografiert, spaltenweise korrigiert, die Fehler rot markiert, mit grün Anmerkungen gemacht und alles schließlich nummeriert. Dabei habe ich gleiche Gruppen zu Fehlerkategorien zusammengefasst.

1. If the Sätze are united they will never be divided

Ich gehe davon aus, dass es sich bei diesem Zeichensetzungsfehler, um einen Flüchtigkeitsfehler handelt. Ganz eindeutig bezieht sich die einleitenden Konjunktion weil auf den Hauptsatz im Satzgefüge, sodass beide Sätze eine klassische hypotaktische Satzstruktur (Hauptsatz -> Nebensatz) bilden und keine eigenständigen Hauptsätze sein sollen.

2. Wessen Problem ist das sein Zuhause

Der letzte Satz im ersten Abschnitt ist gleich in mehrfacher Weise erwähnenswert. Michaels Schreibweise von zuhause als Adverb klein und zusammengeschrieben ist richtig. Allerdings wird vom Duden die Schreibweise zu Hause Frage mich einer, warum das so ist? Ich habe keine Ahnung.

Ein Grammatikschnitzer hat sich beim unbestimmten Artikel ein eingeschlichen. Selbstverständlich muss hier der Genitiv gebildet werden. Machen wir die Probe: Wessen sollen sich die Platten zu Hause unterziehen? Einer Nagelprobe.

3. Infinitivgruppen sollen zur Hölle fahren

Auch im letzten Satz des ersten Absatzes finden wir eine Infinitivgruppe: „[…] wenn sie endlich die Chance hätten diese Platten zuhause eine [sic] Nadelprobe zu unterziehen.“ Rein gefühlsmäßig, würde ich ein Komma vor diese setzen, denn damit bin ich auf der sicheren Seite, weil es nach Duden (Regel K116) eine der beliebten Kann-Regeln ist: „Infinitivgruppen kann man durch Komma[s] abtrennen, um die Gliederung des Satzes deutlich zu machen […]“[1]

Fehlt aber deswegen ein Komma? Der Duden sagt in Regel K117, dass ein Komma gesetzt werden muss, wenn die Infinitivgruppe von einem Substantiv abhängt oder mit einem hinweisenden Wort wieder aufgenommen wird.[2] Natürlich hängt die Gruppe an der Chance, das Wort diese ist aber in diesem Fall kein Pronomen sondern ein Artikel. Hm, da kriege ich so langsam Kopfschmerzen. Und da in der Regel auch steht, dass bei einer Verschränkung oder Eischluss von Infinitivgruppe mit dem übergeordneten Satz auch kein Komma gesetzt wird, entschließe ich mich, zu Gunsten des Delinquenten zu entscheiden und setze selbst das Komma nach Regel K116.

m-2Und bei den übrigen vier Streitfällen dürft ihr selber im Duden nachschlagen, ob Micha nun korrekterweise auf das Komma verzichtet hat. Ich würde ihm allerdings empfehlen, das Komma zu setzen, weil er das kann. Der Verzicht auf das Komma erfordert in jedem Fall deutlich mehr Bereitschaft, das Thema zu durchringen.

4. Komma und und

Auffällig häufig setzt Micha ein Komma vor und, wenn er Parataxen, also nebengeordnete Sätze verbindet. Solche gleichrangigen Sätze werden nach Regel K118 durch ein Komma getrennt, es sei denn die Konjunktionen und oder oder verbinden sie. Also wäre das erst einmal falsch. Wenn es da nicht Regel K119 gäbe, die das Komma erlaubt, falls damit eine Gliederung sichtbarer wird.[3] Da reitet Micha also auf der Rasierklinge. Mir erscheint, er sollte an dieser Stelle die Kommas seltener setzen.

5. Es wächst zusammen, was zusammen gehört

Ohne das jetzt zu belegen, gilt bei Getrennt- und Zusammenschreibung eine recht einfache Regel: Ein Wort wird zusammengeschrieben. Zwei Wörter werden nebeneinander geschrieben.

Hört sich verwirrend an, aber in diesem Fall heißt das, dass es etwas anderes ist den Müll raus zu bringen, als auf Plastic Bomb Records eine Neurotic Arseholes LP rauszubringen.

6. Einwanderer sind willkommen: Elektronische Post und E-Mail

Ein klassischer Fall für die Suchen-Ersetzen-Funktion ist der beliebte Fehler email. Dieser Einwanderer aus dem Englischen macht es uns schwer. Ist es nun Email, E-mail oder sicherheitshalber elektronische Post? Davon abgesehen, dass wir die elektronische Post lieber den Sprachrevisionisten, der Bundespost und Nazis überlassen, würden wir die deutsche Variante mit E-Post richtig abkürzen. Das große E, weil Nomen groß geschrieben werden und Post ebenfalls groß, weil wir bei zusammengesetzten Nomen mit Bindestrich immer beide Wörter groß schreiben. Das gilt bei Deutsch-Rock und auch bei Dumm-Punk. Und mit sprachlichen Einwanderern verfahren wir ganz genauso. Sobald sie eingedeutscht (schönes Wort, gelle?) sind, gelten dieselben Regeln aus electronic mail = email wird E-Mail.

7. SS Orthografie, du kriegst mich nie

Die Schreibung der s-Laute bereitet vielen Menschen und – sofern sie sich dazu zählen – auch Punkern Schwierigkeiten. Dabei ist sie mit der letzten Rechtsschreibreform erheblich vereinfacht worden. Im Prinzip gibt es zwei s-Laute: Das stimmlose / scharfe s (Laus) und das stimmhafte / weiche s (saufen oder lausen). Der stimmhafte bereitet uns keine Schwierigkeiten, es sei denn, wir haben einen scheiß Dialekt und sagen Scheise statt Scheiße.

Ich will jetzt nicht auf alle Ausnahmen oder Möglichkeiten eingehen, aber Micha bewirbt sich offenbar um die Schweizer Staatsangehörigkeit, denn nach Diphtongen (au, ei, äu etc.) kommt bei mehrsilbigen Wörtern oder Wortstämmen in der Regel das scharfe ß. Also heißt es heißen und außer, aber am Wortende oder bei kleinen Wörtern und am Wortende aus.

Genauso werden lange Vokale mit einem ß markiert wie z. B. schließen. Das doppelte s, benutzen in Deutschland nur Nazis und Schisser.

Nur eben in der Schweiz ist das anders.

8. Acht lacht Mal

Nummer acht bleibt hier mal so stehen, weil ich dachte, es müsste klein geschrieben werden, weil es irgendwie ein Adverb wäre. Das gilt aber nur für einmal, zweimal, dreimal … Micha liegt mit seiner Schreibweise also vollkommen richtig. Nicht nur beim ersten, sondern auch beim zweiten, dritten und vierten Mal. Ist ja auch klar, denn Nomen erkennt man daran, dass man Artikel davor schreiben kann (hier mit der Präposition verschmolzen: bei dem) und das auch noch ein Adjektiv dazwischen passt. Dumm gelaufen, also schön blöd gelaufen. Und das in so einem Klugscheißer-Artikel.

9. Sonntag morgens 15 Uhr –

Jetzt aber schnell wieder zurück in die Spur.

„[…] als ich eines sonntagsnachmittags einen letzten Versuch starte.“

Der im achten Punkt erwähnte Artikel rettet mich eventuell. Das muss doch groß und auseinander geschrieben werden.Es heißt doch auch nicht eines tages werde ich es begreifen. Aber nachmittags werde ich einen Artikel schreiben. Micha benutzt sonntagnachmittags als Adverb, zusammengeschrieben und klein. Eigentlich absolut richtig, wenn da nicht der Artikel eines wäre. Puh, ich glaube, es ist falsch geschrieben.

10. Drei Punkte sind genug!

Vier Punkte am Satzende sind wieder ein Fall für Suchen und Ersetzen in Word oder Open Office. Lässt man das Satzende offen, reichen die drei Punkte und es braucht keinen weiteren Schlusspunkt. Das Gleiche gilt bei Punkten bei Abkürzungen etc.

Nachschlag

Aufgefallen ist mir noch, dass Micha bei Ausrufungszeichen immer einen Leerraum nach dem letzten Wort macht. Allerdings kleben alle Satzzeichen am Wort davor, nicht nur der Punkt.

m-3Zeit für ein Resümee:

Zusammenfassend urteile ich, dass alles halb so wild ist. Ich muss sogar sagen, dass Michas Ergüsse unter den gegebenen Voraussetzungen mehr als beachtlich sind. Wie ich lese, feiert er demnächst seinen fünfzigsten Geburtstag. Das heißt, er hat seit mindestens dreißig Jahren keine Schule mehr von innen gesehen. Und da ich ja über Insiderwissen verfüge, weiß ich, dass er zu Schulzeiten durchaus mit anderen Dingen beschäftigt war als mit dem Duden. Ist also nicht so wie heute, dass die wenigen Punker in den Klassen noch mit zu den Klassenbesten gehören.

Dazu bereiten Texte in Punkmagazinen noch eine weitere Schwierigkeit. So ist es schwer entsprechende Sprache mit standardsprachlichen Maßgaben in Einklang zu bringen respektive Sprache entsprechend mündlichem Sprachgebrauch schriftlich darzustellen. So nutzt Micha gerne Neologismen wie ‚Nadelprobe‘ und nimmt sprachliche Einwanderer wie ‚Bigpoint‘ (nicht: big point) souverän auf. Er spielt also nicht nur mit Sprache, sondern kennt auch die Regeln.

Gewagt ist für mich sein Umgang mit Infinitivgruppen. Das ist für mich persönlich ein absolutes Minenfeld. Ich gehe da normalerweise auf Nummer sicher und trenne sie mit Kommata (Duden-(kann)Regel K 116). Micha nutzt hingegen die Duden-Regel K117 mit all den Ausnahmen souverän. Ich musste ständig nachsehen, weil ich nicht ganz sicher war, ob jetzt seine Infinitivgruppen mit dem übergeordneten Satz verschränkt oder eingeschlossen sind und beispielsweise nicht von einem Substantiv abhängen.

Arbeiten würde ich an der S-Schreibung nach Diphtongen, der Schreibung von E-Mail und den Kommas in Satzgefügen. Damit werden die Hauptfehlerquellen austrocknen.

Und nachdem ich jetzt fünf Mal die Neurotic Arseholes LP „… bis zum bitteren Ende gehört habe“ bin ich auch davon restlos begeistert. Chapeau, mein alter Weggefährte!

 

 

[1] Duden – Die deutsche Rechtschreibung 1. Duden. 2011. S. 116.

[2] Ebd. S. 117.

[3] Ebd. S. 78.

 

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*