Geschichte

Friedrichsplatz 

Es ist warm an diesem Brennesselteetag. 

Alles sieht so freundlich aus, wenn die Sonne draufknallt. Selbst der Staub, der fein durchs Licht schwebt. Dass ich all das einatme… 

Die Bettdecke klebt.  

Im Kopf – oder besser um den Kopf herum – wabert ein Polster. Nein, keine Kopfschmerzen, nur ein dicker weicher Stoff, der das Pochen sanft umklammert.  

Das Bett ist eigentlich zu groß, aber gerade richtig für mich alleine. Trotzdem will ich nicht liegen bleiben. Es ist eigentlich viel zu früh. Andere Leute schlafen am Sonntag, können sich einfach richtig lange den Lasten der Nacht im Schlaf entledigen. Sie wachen einfach sechs Stunden später auf, die Arschlöcher. Langsam regen sich erst irgendwelche Gesichtsmuskeln, sie runzeln die Stirn, drehen sich langsam von links nach rechts, ziehen kurz die Zehen an, versinken noch mal eine halbe Stunde und wiederholen das Ganze bis ihre Augenlider kurz flattern. Verdutzt runzeln sie dann die Stirn, wenn sie neben sich noch jemanden entdecken, zucken kurz mit den Schultern und rollen sich an sie heran.  

Ich stehe auf, sehe mich um. Meine Welt: Eine Schrankwand Eiche rustikal, ein heller ovaler Tisch auf dem eine Flasche Wein, eine halbleere Tüte Chips, eine Stopfmaschine, Tabak und Hülsen liegen um ein Platzdeckchen aus Plastik mit Leopardenmuster herum, wie arrangiert; auf dem Deckchen das Weinglas und ein leerer Pappbecher mit Vanille-Eis. In der Ecke neben der Schrankwand steht mein Schreibtisch mit PC und Drucker und im rechten Winkel dazu ein Raumteiler in dem meine Platten, CDs und die Stereoanlage stehen; extra zwei Curver-Kisten mit den Scheiben, die ich zum Auflegen mitnehme. Rechts gibt es noch den Kleiderschrank, den ich noch aus meinem Kinderzimmer mitgenommen habe und an dem ein Aufkleber mit riesigem Zebrakopf etwas verloren wirkt. An der freien Wand lächelt Erich Honecker gütig herab, daneben hängt das Bad Religion-Poster mit der Shiva – oder wer das immer sein mag, auf jeden Fall die mit den vielen Armen aus Indien – von der ‚No control-Tour. Darunter steht der Fernseher so, dass ich, wenn ich mich falsch herum lege, vorm Schlafen 0190-Werbung gucken kann.  

Das Bett ist eine Ausziehcouch, die ich erst einmal zusammenklappe und dabei das Bettzeug reinquetsche. Der Aschenbecher steht jetzt mitten im Raum und ich stelle ihn vorläufig auf das Leopardenmuster. Den gesamten Tisch ziehe ich jetzt vor die Couch und beseitige die Zeugen der letzten Nacht.  

In der Küche setze ich Spülwasser auf, fülle ich die Kaffeemaschine und leere den Ascher in den Müll und stelle ihn zu dem Rest in die Spüle.  

Mir ist nach No Means No zumute. Die ‚Small parts isolated & destroyedund ‚0+2=1‘ gibt es auf einer CD. Finde ich geil, zwei Platten auf einer CD, da lohnt es sich wenigstens mehr Geld auszugeben. Sonst kaufe ich lieber die Platte, denn die ist billiger.

Ein fettes Bad nehmen, das ist genau das Richtige an so einem Sonntag. Dann schwitze ich all die ungesunden Sachen aus. Also gehe ich rüber ins Bad und mache den Boiler schon mal an. Der Anrufbeantworter blinkt einmal und ich weiß, dass es Mama ist.  

Der Hölle bin ich entrungen. Habe ich ganz gut gemacht. Während der Ausbildung bin ich schon ausgezogen. Das Geld hat gerade bis zum Zivildienst gereicht. Und da ich die Wohnung schon ein Jahr bezogen hatte, mussten die mir noch die Miete bezahlen, zusätzlich zu dem Geld, was ich zum Leben brauche. Das ist mehr als das Doppelte, was ich bei der scheiß Bundeswehr bekommen hätte. Dafür kann ich ruhig ein halbes Jahr länger machen. Andere haben auf Psycho gemacht, um untauglich zu sein. Aber das wollte ich nicht, denn dann kriegst du nie wieder einen Job. Muss man sich mal vorstellen: Es gibt Leute, die versauen sich ihr ganzes Leben, nur um nicht diesen verschissenen Zwangsdienst machen zu können. Fein raus sind nur die Weiber. Warum eigentlich? Die wollen doch sonst immer so gleichberechtigt sein.  

T3 habe ich gekriegt, wegen Übergewicht. Verdammt war das erniedrigend: Nackt dasitzen, den kleinen Pimmel verstecken und das ganze Fett zur Schau stellen. Glück hatte ich, keiner machte Sprüche. Aber man darf das Glück nicht strapazieren. Deswegen durfte ich auf keinen Fall zum Bund. Allein schon die Vorstellung mit ein paar primitiven Schwachköpfen von Haupt- und Sonderschulen auf einer gemeinsamen Stube sein zu müssen, löste in mir Filme ungeahnten Demütigungspotentials aus. 

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