Konzerte
Nach einigen Formalitäten, wie Schnelltest und Passierschein besorgen, um in der Nacht nach Hause fahren zu können (Ausgangssperre!), ist das erste Konzert am Freitag mit voller Konzentration LUBOMYR MELNYK. Der ist mir bekannt, weil Gregor Samsa von Sound of Subterrania Platten mit ihm gemacht hat. Freund Stone gibt mir einen kurzen Crashkurs in Sachen Melnyk und berichtet über das Konzept der „Continuous Music“. Melnyk komponiert und spielt meditativ anmutende Klaviermusik, die sich in ihrem ruhigen, fortwährenden Fluss nur in Nuancen verändert. Ein warmes in-Watte-gepackt-Gefühl breitet sich aus. Sehr angenehm. Zwischen den Stücken gibt Melnyk ein paar Erklärungen. Das erste Stück war eher einfach, dass zweite eher schwer, das dritte liegt irgendwo dazwischen. Das wirkt sympathisch kauzig bringt aber keinen Erkenntnisgewinn.
Mein Festivalfeeling: 3 Jever Fun alkoholfrei
Der Samstag beginnt für mich mit NIHILOXICA auf der Open Air Bühne. NIHILOXICA sind vier Schlagzeuger/Trommler aus Uganda in Zusammenarbeit mit englischen Elektronikern. Sehr technoid und in der Tat, wie in der Programmvorschau versprochen, ein “ugandisches Schlagzeuggewitter” Ich bin begeistert und wage sogar ein paar Tanzschritte. Die werden in die weite Welt übertragen, wie ich dann per Nachricht erfahre, denn ein Kollege in Berlin schaut die ARTE-Liveübertragung und informiert mich umgehend. Mir gehen “The Prodigy” als Referenz durch den Kopf. Freund Stone versteht meinen Bezugspunkt mahnt aber gleichzeitig “aber nicht so prollig wie Prodigy”.
Am Abend dann FENDIKA aus Äthiopien in der Halle. Geburtsort von FENDIKA ist ein Cultural Center in Addis Abeba. FENDIKA wollte ich vor Jahren schon in Utrecht sehen, als sie mit meinen niederländischen Helden THE EX ein Konzert gaben. Leider gab es keine Karten mehr und die Reinquatschversuche waren damals nicht von Erfolg gekrönt. Freund Stone, der mit dem anwesenden Abgesandten der TAZ schon für einige Wochen in Addis Abeba gewesen ist, gibt mir einen kurzen Abriss über das Geschehen im Cultural Center und die Bedeutung der Band um den Tänzer MELAKU BELAY. Das Konzert ist auf mehreren Ebenen großartig. Das Outfit der Musiker liegt irgendwo zwischen äthiopischer Tracht und 70iger Funkband, die traditionellen Instrumente Masinko, Krar und Bass-Krar werden elektronisch verstärkt gespielt und im ersten Teil des Konzertes, noch ohne Tänzer und Sängerinnen, für dezentes Rockshow-Posing genutzt. Im zweiten Teil tanzen dann Melaku Belay und Wude Tesfaw zur Musik. Der Tanz heißt Eskista und tatsächlich sehe ich diesen Tanz zum ersten Mal in meinem Leben. Ich bin zutiefst beeindruckt. Leider hat das Virus verhindert, dass eine ganze Reihe weiterer Musiker*innen zum Festival aus Addis Abeba anreisen konnten. Geplant war eine weitere Tanz-Performance von Melaku Belay gemeinsam mit Arbeiter*innen, die in einem Viertel in Addis Abeba mit diversen Werkzeugen Metall bearbeiten. Das ist ihr Job und es scheint mir unmittelbarer Industrial zu sein, den ich im nächsten Jahr unbedingt sehen will.
Mein Festivalfeeling: 7 Jever Fun alkoholfrei
Sonntag ist für mich Ruhetag und am Montag will ich unbedingt YEAH YOU sehen. Ein Duo (Vater und Tochter) aus UK, dass Noise mit Sprechgesang kombiniert. Die Trigger-Referenz im Programmtext ist Sleaford Mods, womit man mich sofort und einfach am Wickel hat. Leider schlägt auch hier das Virus zu. Der Vater darf aufgrund der indischen Variante kurzfristig nicht einreisen. Neue Bestimmungen. ELVIN BRANDHI, die Tochter, die bereits vor Ort ist, bereitet spontan am Sonntag ein Set mit dem Kontrabassisten JOEL GRIP vor. Der Auftritt lässt mich dann eher kalt. Der Sprechgesang oszilliert zwischen „in Zungen reden“ und Exorzismus, die elektronischen Noise-Parts wirken eher zufällig und der Kontrabass und die Noise-Parts kommen nicht so recht zusammen. Auch hier hoffe ich auf das nächste Jahr mit einem „echten“ Yeah You – Auftritt.
Mein Festivalfeeling: 1 Jever Fun alkoholfrei (aufgezwungen)
Arte Concert
ARTE hat das gesamte Festival im Spartenkanal Arte Concert live gestreamt (noch für einige Zeit abrufbar). Mit großem technischem Aufwand. Den Aufwand konnte ich mir in den drei Tagen aus der Nähe ansehen. Und dieser Livestream ist ein gewichtiges Argument für GEZ-Gebühren! Für Staatsfernsehen! Für den Bildungsauftrag! Für noch mehr Geld für die Öffentlich Rechtlichen! Wie wunderbar ist es, dass dieses Nischenprogramm abseits von Massentauglichkeit und kommerziellen Interessen in die Welt gebracht werden kann. Das Festivalteam berichtet am Montag von mehr als 100.000 Zugriffen. “Zwangsgebühren!” – Dumpfbacken legt euch bitte gehackt.
Töpfe
Auf der Pressekonferenz wird mir fast schwindelig. Die Festivalmacher*innen erzählen von einem Dickicht aus Fördermitteln, Anträgen, Sonderanträgen, Geld von der Stadt, Geld vom Land und Geld vom Bund. Ohne diese Förderung wäre ein solches Programm nicht auf die Beine zu stellen. Für einige der Musiker ist das Festival der erste bezahlte Job nach über einem Jahr pandemiebedingter Pause. Für das Festivalteam Ansporn genug, eine Absage des Festivals nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Und sollte der große Aufwand für die Durchführung von Veranstaltungen mit Zuschauern ein Dauerzustand werden, was die Zukunft sein kann, brauchen wir alle noch größere, prallgefüllte Töpfe mit der guten Staatsknete. “Dafür-zahl-ich-Steuern?” – Hysteriker bitte auch gehackt legen.
Schmähgesang
Der Abgesandte der TAZ entpuppt sich im Verlauf des Samstags als Köln-Fan. Das zwingt ihn zu bangen Blicken auf den Live-Ticker. Ich nutze die Gelegenheit und bringe ihm meinen Lieblingsschmähgesang bei. Der geht so: „Ihr asozialen Kölner. Freunde der Sodomie. Den Geißbock könnt ihr poppen. Das Zebra aber nie.“ Kennt er noch nicht, hat sich auch noch nicht so durchgesetzt. Er revanchiert sich mit einem Schmähgesang, der mir neu ist: „Ihr steht auf Schwänze und nicht auf Busen. Ihr seid die Fans von Bayer Leverkusen.“ Freund Stone ist Fußball egal. Er nimmt den Bremer Abstieg achselzuckend hin und einen Bremer Schmähgesang kennt er auch nicht.
Distanzierung
Man verzeihe mir den steilen Niveauabfall und abrupten Themenwechsel zum Ende des Berichts. Dummerweise ist das Leverkusenlied seit Samstag mein Ohrwurm und vielleicht werden ich ihn so wieder los
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