Die Probleme im realen Leben muss man nicht in den Befindlichkeiten woker privilegierter Wohlstandskinder suchen. Sie finden sich natürlich zuhauf in der Welt. Mika fasst im Trust die Ereignisse in Myanmar, die wirtschaftlichen Verstrickungen und die Auswirkungen für Künstler zusammen. Das ist nicht so lustig. Überhaupt ist das TRUST wohl die komplett humorbefreite Zone in der Landschaft. Manchmal findet sich im ewig dahin mäandernden Bewusstseinsstrom von Jan Röhlk etwas, an dem sich sympathischerweise die fünf Phasen des subkulturgeleiteten Trinkens vorm Rechner wiedererkennen lassen (1. Verkatert sein, 2. trinken, 3. Szene ist geil, 4. An Szene verzweifeln, 5. scheißeeegaaal, Hauptsache Hosen und wieder von vorne.). Das fehlt allerdings in dieser Ausgabe, ist aber sonst so sympathisch wie er selbst.
Sympathiepunkte gibt es auch für die Vorworte aus dem Ox, die eine große Vielfalt (von der Anekdote, über Internetperle, Tagebuch, Geschichte, Glosse und v.A.) bieten. Einzig, dass sie manchmal etwas zu handzahm rüberkommen, stört. Aber das ist natürlich der große Vorwurf, gehört aber zu Joachims D.N.A.: Verletzen mag er niemanden. Ganz anders als das ZAP, wo es auch mal zur Sache gehen kann. Die interviewte Thaiboxerin Anki auf dem Cover steht da symbolisch für. Hier darf auch mal gekeult werden, nur bitte nicht geheult. Dafür steht dann wohl eher das Plastic Bomb. Mit Ausnahme von Basti steht das FLINTA* hier für Lamentierende in tautologischen Aussagen. Zu wenig vermutlich, um all gender zu erreichen… Mit dem Piefke- und Fahnenflucht-Interviews werden die wenigen Anzeigenkunden getröstet. Herzblut liest sich anders. Zum Beispiel so wie das Interview mit Jobst und Christopher vom „Und dann kam Punk“-Podcast im Trust. Und wenn es denn kein Herzblut ist, dann ist es wenigstens gut gemacht wie das Rise Against-Titelthema im Ox, das natürlich die immer wieder kritisierten Abhängigkeiten von Themen versus tragfähiges Finanzierungsmodel aufwirft. Aber hier ist ja trotzdem Platz für beispielsweise Kontrolle und alles was unter LIESMICH.TXT firmiert. Abhängigkeiten finanzieller Natur spielen natürlich immer eine Rolle in der Fanzinelandschaft. Das ist ein Geben und Nehmen, was zu einer gewissen Vetternwirtschaft führt. Am offensichtlichsten ist das am Ox-Fanzine zu sehen. Nahezu jeder schaltet Anzeigen in dem Heft, was wiederum dazu führt, dass sich umgekehrt jeder im Ox wiederfindet. Da der Anzeigenkunde ein scheues Reh ist, das den Verriss scheut, will man diesem nicht auf die Füße treten. Da sind weniger als 7 von 10 Balken im Review schwer zu vertreten. Aber der mündige Leser weiß das schon zu nehmen. In meiner aktiven Zeit beim Plastic Bomb mussten Micha und ich diesen Spagat auch machen. Geholfen haben uns die vielen Mitschreiber, die das jeweilige Genre oft fair behandelten. Trotzdem ließen wir uns den unfairen Verriss zuweilen nicht nehmen, weil beispielsweise eine Broilers-Platte irgendwie nicht zu uns passen sollte. Das ist natürlich ein Kraftakt gewesen, der dann auch den einen oder anderen Anzeigenkunden vergrault hat. An dieser Stelle ist Joachim kompromisbereiter. Diese Schere ging immer weiter auseinander, was wir durch den vorhandenen Mailorder ausgleichen konnten. Dieses Modell erlaubt es dem Plastic Bomb mittlerweile in der Sphäre der Schulterklopfer zu existieren, denn die Widersprüchlichkeiten sind in den Mailorder ausgelagert. Glatte zwei Seiten gibt es dort gut gestaltete Werbung für Textilien aus dem Shop. Dass dort dann ein Model mit #punktto-rotem Haar mit einem GG Allin-Textil am Leib posiert gehört zu den Ambiguitäten, denen frau sich dort jetzt stellen muss. Am leichtesten geht dies wohl, wenn man selbst toleranter ist, was sicher eine der Entwicklungsaufgaben des Plastic Bombs ist. Wie sich das TRUST finanziert, ist mir unklar. Ich gehe davon aus, dass Bill Gates das macht. Tatsächlich ist das Heft irgendwie seit Jahren frei von dem Verdacht, hier Abhängigkeiten zuzulassen. Das ZAP ist dagegen finanziell unabhängig, da keiner von dem Heft leben muss. Moses sitzt als Arzt finanziell abgesichert im Führerbunker zu Bexbach und plant von dort die Weltübernahme. Dort scheint die Anzeigenkundschaft auch gefeit gegen schlechte Kritik, wie die Anzeige der Band ‚pornofon‘ beweist. Führt immerhin dazu, dass es die Band schafft, dass sie hier erwähnt wird und ich sie mir einmal anhören werde. Das fand ich sowieso immer groß: Bands die zu groß waren, um über dem Verriss zu stehen. Eine Größe, die ich mir als Musiker tatsächlich schwer erarbeiten müsste.
Tja, was bleibt als Fazit. Das größte Heft Ox ist mit über 3500 Abonnenten, der beiliegenden CD und der Themenvielfalt für mich das zweimonatlich aktualisierte Branchenbuch der Szene und tatsächlich unerlässlich (siehe oben). Das ZAP kann das Heft beyond punk werden, dass den größten Reiz hat. Zwischen komplettem Trash und dialektischem Großkapital jenseits der Vielfalt auf dem Bauwagenplatz steckt hier der Reiz, sich auch mal richtig ärgern zu können. Dem Plastic Bomb fehlt es glücklicherweise vor allem an fähigen Schreiber*innen, um zum Wahrheitsministerium des Punks zu werden, so dass eine Anschaffung auch nicht die konservativen Ü50-Punkeltern ärgern kann. Auf so wenig Seiten kann frau sich einfach keine Lückenfüller wie einen Reisebericht aus dem Jahr 2019 nach Frankreich leisten. Und beim TRUST bleibt das große „Na ja!“. Ich weiß auch nicht, ob ich mein Mitleidsabo (ich meine 16 Euro pro Jahr sind ja nicht viel!) weiterführe. Teilweise sind es vielleicht die unabhängigen Besprechungen und der große Fokus auf den guten alten MRR-Spirit, die das inhaltlich rechtfertigen.
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