ZAP #160 | TRUST #213 | OX #161
Die Gesamtscheiße da draußen produziert Wut, Verzweiflung und Resignation im Überfluss und man muss sich wirklich anstrengen, nicht der nächste erklärte Menschenfeind zu werden, der die kläglichen Reste seiner Empathie bevorzugt in Richtung Hund oder Katze kanalisiert. Ein paar noch intakte Sicherungen hindern einen gerade noch so daran, endgültig zum Millionen-Heer der Hasser überzulaufen und im endlosen Doomscrolling unterzugehen.
„So sieht es doch aus“, resümiere ich am Telefon im Gespräch mit Freund Swen. „Ich kann mich für gar nichts mehr begeistern. Selbst Platten sind mir völlig egal geworden“, greine ich ins Smartphone. Swen kann da anknüpfen: „Bücher, Platten, Bands. Egal was, ich finde nix mehr, was mich wirklich überzeugt.“ Anscheinend mutieren wir gerade zu Statler & Waldorf. Leider nicht in lustig, sondern in eine zunehmend verbitterte und resignierte Variante.
Wir nehmen uns etwas vor. Weniger harsch und mehr wohlwollend auf die Dinge schauen, die man eigentlich doch immer gemocht hat. Das könnte den Gefühlshaushalt wieder ein wenig in Ordnung bringen und den Blick auf die wirklichen Zumutungen der herrschenden Verhältnisse schärfen. Meine erste Übung in zugewandter Milde: Fanzines besprechen.
Und da macht es mir das ZAP #160 als Einstieg überraschend leicht, den Dingen positive Seiten abzugewinnen. Zieht man das Chef-Gedöns, den Uniformfetisch und den leichten Hang zum Pornographischen ab (augenscheinlich die Spielfelder des Herausgebers), bleibt in der Summe solides und unterhaltsames Fanzine-Handwerk übrig. Das sehr interessante Interview mit den Macher*innen vom Hellfire Radio-Team, welches auch ein paar Einblicke in die Strukturen des Kölner Campus-Radios gewährt, ist ein echtes Highlight. Und auch der Auszug aus dem kommenden Buch über Dave Dictor (MDC) macht Appetit auf die Biografie. Ein weiterer Höhepunkt: Der Artikel über die Positionierung von Anarchisten in der Ukraine und Russland zum Kriegsgeschehen. Höchst informativ und umfangreich. Überhaupt scheint es im ZAP ausreichend Platz für längere Texte/Geschichten zu geben, was mir gut gefällt. Der Waren-Fetisch ist erfreulicherweise auf zwei übersichtliche Review-Seiten eingedampft, so bleibt genügend Raum (fünf Seiten) für eine üppige Fotostrecke nebst Interview zum „V-Mann“ – Buch von Steve Braun. Ein Buch mit zahlreichen Fotos, welche hauptsächlich die Umtriebe der Nürnberger Szene in den 2010er Jahren dokumentieren. Nicht unbedingt die Party, zu der ich gerne gehen würde (zu der man mich auch sicherlich erst gar nicht einladen würde), aber werft selbst einen Blick auf die bunte Welt aus Dödeln, Möpsen, Gesichtsmetall und alkoholgetränktem Spaß.
Schwerer wird es dann schon mit dem TRUST #213. Schwer, weil ich für eine kurze Phase selbst den einen oder anderen Text dort beigesteuert habe und – noch schwerer – weil ich den einen oder anderen Schreiber dort sehr, sehr mag und wir damals den Sack Bier, die Stange Zigaretten, Schnittstellen und die Schlafstatt geteilt haben. Da guckt man dann wohlwollend aber gleichzeitig auch besonders kritisch hin. Freund Jan kann ein Lied davon singen. Gleich mehrere E-Mails mit Beschwerden über seine letzten Moves landeten schon in seinem Postfach.
Nun denn, ich beobachte Dolf dabei, wie er sich Stück für Stück dem späten Gremliza (Konkret-Herausgeber R.I.P.) annähert und sich vorzugsweise selbst zitiert. Dolf hat uns doch schon vor 16 Jahren was ins Stammbuch geschrieben und damals wie heute hat man nicht auf ihn gehört. Das ist halt Gremliza-Schule und wirkt auf den Leser leider etwas nölig. Jan dann mit einer für seine Verhältnisse eher kurzen Kolumne. Die liest sich immer wie ein Google-Suchverlauf und kommt somit von Höcksken auf Stöcksken. Kim Deal und AC/DC dürfen in der Tüte Gemischtes nicht fehlen … Ein paar Kolumnen und Band-Interviews (Team Scheisse scheinen hot zu sein und ich habe bisher nichts davon mitbekommen) weiter, folgt das Interview mit Al & Andrea. Beide ehemalige Schreiber*innen im TRUST und es geht um das Schreiben im TRUST. „Das kann nur selbstreferenzieller Bockmist sein. Was soll denn das?“ hätte mein altes Ich wohl schon vor dem Lesen gedacht und flugs die E-Mail an Jan formuliert. Der Versuch meines neueren Ichs hält sich zurück und findet auf den sechs Seiten tatsächlich ein paar interessante Einblicke in das TRUST der Neunziger Jahre und auch durchaus amüsante Anekdoten über Backstageerlebnisse und Bandinterviews. Al spendiert mir en passant im Interview auch eine Erleuchtung. Jan stellt die Sinnfrage zum Fortbestand eines Print-Fanzines und Al antwortet: „[…] deine Frage ist im Grund genommen falsch gestellt, denn es heißt ja „Fanzine“ und eigentlich, ideal gesehen, ist es ja so, dass irgendwer etwas macht, was er ganz toll findet, von dem er Fan ist. Und dann sieht er da halt einen Sinn drin […]. Deshalb ist es eigentlich unwichtig, also die Frage, ob ein Heft noch Sinn macht.“
Und genau so kann man es doch auch sehen. Sich nicht mehr an der Frage abarbeiten, welche Relevanz ein Print-Punk-Magazin im Jahre 2022 eigentlich noch haben kann und welche Menschen mit welchen Inhalten dies außer den mit dem Heft altgewordenen Stammlesern noch erreicht. Wichtig ist das Heft in erster Linie für die Leute, die es machen. Punkt. Mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf kann dann auch ein in seinem Detailreichtum leicht verschroben wirkender theoretischer Reisebericht (Finger auf der Landkarte) über Jans gelobtes Land L. A. genossen werden.
Bleibt zum Schluss das OX #161. Angetriggert durch Swens Besprechung an diesem Ort will ich nach Jahren der OX-Abstinenz unbedingt Toms Kolumne lesen. Viel hat sich während meiner Abwesenheit nicht verändert. Der prall gefüllte Warenkatalog bringt verlässlich das Bandfoto immer links oben, die Coverstars bekommen etwas mehr Platz und es folgt Band auf Band. Von der zuletzt viel diskutierten „Vinyl-Krise“ ist nix zu sehen. Die „OX-Geschmacks-Control“ und die Reviews erstrecken sich nach wie vor über viele, viele Seiten. Der Anteil der Re-Releases scheint größer geworden zu sein. Wenig überraschend, denn in den Plattenläden sieht es ja genau so aus.
Toms Kolumne hat es dann in sich und ist ein Wirkungstreffer, denn er gewährt uns offenherzig Einblicke in sein Alkoholiker-Leben. Die getrunkenen Mengen sind extrem und auch die geschilderten Begleitumstände (umnebelte Küchenunfälle in der Nacht) gehören zum Repertoire eines schweren Trinkers. „Bis zum bitteren Ende“ geht mir beim Lesen durch den Kopf und ich merke, dass mich sein offener Umgang mit dem Thema wütend macht. Weil ich glaube, den Trick zu kennen. Für eine PB-Kolumne hatte ich mich selbst schon einmal öffentlich sehr ehrlich gezeigt und meine Probleme mit der Spielsucht thematisiert. Vordergründig erhoffte ich mir von der öffentliche Zuschaustellung meines Suchtproblems einen therapeutischen Effekt. „Seht her. Ich beschäftige mich mit meinen Problemen. Offen und ehrlich. Ich mache mich auf den Weg, davon loszukommen und ihr seid meine Zeugen.“ So legte ich den interessierten Leser und mich selbst aufs Kreuz. Tatsächlich funktionierte die offene und ehrliche Nummer nämlich wie eine Prolongation der Sucht. Ja, ich beschäftige mich mit der Sucht, aber bis die Zeit für den endgültigen Abschied gekommen ist, geht noch so einiges am Spielautomat.
Und weil ich glaube, den Trick zu kennen mein kleiner öffentlicher Appell an das OX. Möglicherweise wäre es klug und empathisch, Tom keinen weiteren Raum für sein unterhaltsames (das ist es ja perverserweise) Elend zu bieten, bis er klarkommt? Das könnte vielleicht helfen. Einen Nachruf auf ihn möchte ich nämlich nicht in absehbarer Zeit lesen. Danke.
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