Ein Gespräch mit dem Verein für die solidarische Gesellschaft der Vielen
Montagabend und ich will mich mit den Initiatoren des Fest der Vielen im Zentrum für Kultur in Hochfeld treffen. Ich bin zu früh, meine Gesprächspartner sitzen noch irgendwo in einem Imbiss in der Nähe, um sich nach dem Abbau auf dem Festivalgelände kurz zu stärken. Ich nutze die Zeit und mache mich auf die Suche nach einem Geldautomaten. Keine Chance, die Gebühren fürs Abheben zu sparen, denn es gibt keinen Geldautomaten von einer gängigen Bank in Hochfeld mehr. Ist mir vorher noch nie aufgefallen, aber ich bin auch nicht oft hier in der Gegend, obwohl ich nur knapp zwei Kilometer entfernt wohne.
Bleierne Müdigkeit
Ich sitze mit Lena, Klaus und Özkan im Zentrum für Kultur auf dem Sofa. Drei Tage Festival liegen hinter ihnen und sie haben nicht besonders viel geschlafen. Ich selbst habe als Besucher nur den Freitag und den Samstag geschafft, was mit den großzügigen Mischungen am Cocktailstand und ihren Folgen und einem nächtlichen Anfall von Tanzwut zu tun haben könnte. Die drei geben sich alle Mühe, meine Fragen konzentriert zu beantworten.
Vielleicht waren drei Tage auch für die Initiatoren des Festivals zu lang? Die drei sind sich da noch nicht so sicher, 2023 könnten es auch nur noch zwei Tage werden, da drei Tage ausschließlich mit ehrenamtlichen Helfern eine echte Herausforderung für alle Beteiligten waren. Lena und Özkan mussten so zum Beispiel neben dem ganzen anderen Organisationskram auch zwischendurch am Bierstand helfen. So sollte es eigentlich nicht sein.
Ist es finanziell glattgegangen? Ich störe ein wenig beim Kassensturz. Im Nebenraum wird Bargeld gezählt und am Laptop wird gerechnet. Die Frage kommt eine Spur zu früh. Ein Defizit könnte am Ende stehen, aber Fördergelder, die erst im Nachgang zum Festival gewährt werden, sorgen vielleicht noch für die schwarze Null. Eventuelle Überschüsse würden in die Finanzierung der Miete und Nebenkosten des Zentrums für Kultur fließen, denn eine Förderung für das Ladenlokal gibt es nicht.
War es ein Fest der Vielen? Online berichtete die WAZ zuerst von einem “Fest der Wenigen”, was später korrigiert wurde und in der Print-Ausgabe war von “wenig” dann gar nicht mehr die Rede. Um die 1.000 Besucher am Tag mögen es gewesen sein. Gezählt wurde durch die Initiatoren nicht und das Gelände ist weitläufig. Man ist zufrieden mit der Resonanz.
Wurden die Leute im Stadtteil Hochfeld überhaupt erreicht? Sicherlich ein Hauptanliegen der Macher*innen, die Leute, die im Stadtteil leben, in den Rheinpark zum Festival zu locken. Lena berichtet, dass Leute vor Ort waren, die sonst auch das Beratungsangebot des Zentrums für Kultur nutzen. Auch Menschen mit türkischen oder kurdischen Wurzeln waren am Start. Meine Beobachtung: Fast der gesamte – leicht in die Jahre gekommene – Duisburger Punkadel war versammelt. Ein klares Jein könnte die Antwort auf die Frage sein. Die Teilnahme der Menschen aus dem Stadtteil ist ausbaufähig im nächsten Jahr.
Womit wir beim Booking wären. Als Ehrenvorsitzender von Kommen.Trinken.Meckern (Kölner Chapter) könnte ich den einen oder anderen geschmäcklerischen Einwand formulieren. Aber es ist am Ende ja ziemlich egal, ob ich mit “Der Butterwege” etwas anfangen kann oder nicht. Ich kann jederzeit zur Überbrückung ein Bier trinken gehen. Die Resonanz war bei allen Acts wohlwollend bis begeistert. Gut so. Mir taten nur Kavpersaz am Freitag leid, da sie das Festival fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit eröffnen mussten und der DJ am Samstag, weil ich wortreich und betrunken ein “bretthartes Techno-Set” von ihm einforderte, aber das ist eine andere Geschichte.
Am Booking soll für das nächste Jahr gearbeitet werden, um die Vielfalt des Stadteils besser abzubilden. Klaus und ich sinnieren kurz über den sensationellen Trap-Act aus Sofia, von dem wir keine Ahnung haben, den es aber bestimmt geben wird und der die Hochfelder Kids in Scharen auf das Festival treiben würde.
Konnte über das Festival die Anliegen und die Politik des Vereins transportiert werden? Eigentlich der Sinn und Zweck des Festivals: Informationen über die prekäre Situation der Migranten*innen, die insbesondere aus Südosteuropa eingewandert sind und die Arbeit des Vereins für die Belange dieser Menschen. Das Festival soll helfen, den Verein bekannter zu machen.
Klaus erzählt mir von den Plänen für den Stadtteil Hochfeld, die mir in ihrer Dimension bisher gar nicht so bekannt waren.
Ein neues Hochfeld
Stadt, Land und Bund haben Großes vor mit Hochfeld. Am Rheinpark soll das neue “Stadtquartier” RheinOrt entstehen, 2027 wird der Rheinpark ein zentraler Bestandteil der Internationalen Gartenausstellung Ruhr (IGA) werden, die Umgestaltung des Hochfelder Marktes ist schon voll im Gange und der “Grüne Ring”, ein Rad- und Fußweg rund um Hochfeld, ist in Planung. In den dazughörigen Konzepten fehlt es dabei natürlich nicht an den Begriffen “Multikultur” und “Integration”.
Taskforce
Um das neue Hochfeld entstehen zu lassen, wird unterdessen am “alten” Hochfeld geschraubt. “Schrottimmobilien” sind hierbei der Türöffner und die “Taskforce” des Ordnungsamtes das Werkzeug. Mehrfach wurden Häuser aufgrund von Sicherheitsmängeln, die umstritten sind, geräumt. Betroffene sind Migranten aus Südosteuropa. Es ist nicht zuletzt ein Verdienst des Vereins, dass über diese Praxis der Stadt eine öffentliche Debatte geführt wird und solche Räumungen nicht mehr fast geräuschlos über die Bühne gehen. Eine Lobby haben diese Menschen nicht. Und man kennt die Haltung des Duisburger OB zu der Armutseinwanderung aus Südosteuropa.
Lena berichtet, wie eine solche Räumung zu massiven Problemen für die Betroffenen führt. Ärger mit dem Jobcenter wegen fehlender Meldeadresse, Unterbrechungen des Schulbesuches der Kinder, die zu Sanktionen führen können. Obdachlosigkeit für die Betroffenen, die nicht bei Verwandten oder Freunde unterkommen können. Oft dauert es Monate, bis die Folgen einer solchen Räumung für die Betroffenen “repariert” werden können. An der Tür des Zentrums für Kultur stehen mittlerweile mehr als 20 Namen von Betroffenen, die über das ZK zumindest eine Postadresse für ihre amtliche Post haben.
Bleibt die Frage nach den nächsten Plänen. Ausschlafen natürlich. Und Özkan drückt mir ein druckfrisches Flugblatt “Unsere Armut kotzt uns an” in die Hand. In Vorbereitung auf die von allen erwarteten Proteste, wenn die Inflation so weiter geht und die Heizkostenabrechnungen kommen.