Während ich so mit dem Rad zur Arbeit fahre, habe ich genug Zeit, Musik zu hören, ein Hörbuch zu hören oder auch die Gedanken einfach nur schweifen zu lassen. Anstatt mit dem Auto 60 km in einer Gesamtzeit von 60 Minuten ist es mit dem Fahrrad bei 45 Kilometern ungefähr die doppelte Zeit pro Tag. Das funktioniert leider im Winter nur sehr eingeschränkt, denn es ist nicht vorgesehen, dass man so zur Arbeit kommt. Schließlich muss man sich in diesem Land um die Pendler, und das sind Autofahrer, kümmern. Im Fitnessstudio läuft ja auch immer NTV, so dass ich die sinnlosen Umfragen an den Tankstellen ertragen muss: Auch ohne Ton ist es immer das gleiche Geseier. Wo ist da bitte schön der Neuigkeitswert?
Ups, jetzt muss ich aufpassen, denn ich muss der zweispurigen Straße Richtung Rheinpark folgen. Den Radweg muss ich dazu verlassen, was heißt, auf den fließenden Verkehr zu achten. Ist immer ein bisschen tricky, denn der Autofahrer versteht häufig nicht, dass auch der Radfahrer gerne geradeaus fährt und dazu den Radweg verlassen muss. Die Alternative dazu ist es, einer abbiegenden Straße zu folgen, um dann an einer Fußgängerampel den Knopf zu drücken und zu warten, bis ich dann endlich auch geradeaus weiter darf. Gefühlter Zeitverlust: fünf Minuten.
Überhaupt ist es so ein Ding mit den Regeln: Jetzt geht es links über die Eisenbahnbrücke auf die andere Rheinseite. Eigentlich eine reine Fußgängerbrücke. Wir Radfahrer kennen da ja nichts. Es fahren ja tatsächlich immer mehr Leute mit dem Fahrrad. Das ist spürbar. Irgendwie hat man sich auf der Brücke verständigt, denn ich erlebe eher Harmonie statt Hass. Der Radweg durch den Rheinpark ist ja auch sinnlos, denn durch ein Bauprojekt ist die Durchfahrt zur Brücke der Solidarität gesperrt. Eine Umleitung ist natürlich nicht eingerichtet. Die Alternative führt durch den regulären Stadtverkehr und reichlich Ampeln, inklusive eines dreischrittigen Ampellinksabbiegemanövers, das nochmal sieben Minuten kostet. Immerhin kann ich daran denken, dass die Brücke der Solidariität für den friedlichen Protest der Stahlarbeiter von Krupp steht, der natürlich erfolglos blieb. An sich bin ich glücklich darüber, dass die scheiß Hütte verschwunden ist, vergesse dabei, dass nicht nur Panzer sondern auch mein Fahrrad aus Stahl ist. Es ist ja auch nicht besser geworden: An der Stelle des Stahlwerks ist nun ein Teil von Logport entstanden, der dazu führt, dass Duisburg von LKW überflutet wird. Aber das ist ja eine Erfolgsgeschichte hier: Da werden schließlich Arbeitsplätze geschaffen und Infrastruktur für das Mehr und Nochmehr. Wann hat der CLUB OF ROME nochmal sein erstes Statement veröffentlicht? War es 1972? Und was ist seitdem passiert? Gibt es eigentlich eine einzige Post-Wachstums-Partei?
Nun fahre ich das schönste Stück meines Weges. Das Rheinvorland war früher mal eine riesige Schlackehalde und ist jetzt renaturisiert worden. Das könnte so schön sein. Aber die unheilige Allianz aus Industrie und SPD, FDP sowie CDU hat vor fünfzehn Jahren schon den ersten Teil mit einer LKW-Trasse zerstört. Diese kreuzt mein Radweg in einer gefährlichen Kurve. Irgendwelche Zebrastreifen oder Tempobegrenzungen oder Warnhinweise findet man nicht. Wann stirbt hier eigentlich mal wer? Frage für einen Freund! Häufig sind es dann die verhassten LKW-Fahrer, die für mich Bremsen und mich unter dem Hupkonzert der anderen Kraftfahrer durchlassen. Anders käme ich nicht rüber! Und die Erkenntnis bleibt, dass es mit den Feindbildern echt schwer ist. Ob wohl heute mein neues Plattenpaket ankommt?
Nun wird es richtig schön: 1,5 Kilometer wie Urlaub, links Wald und rechts der Rhein. Leider soll das bald ein Ende haben, denn anstatt meines Schotterradweges soll dort eine feine LKW-Trasse bis zur A 40 durchgezogen werden. Sie wissen schon: Wachstum hat in Duisburg Vorrang! Wann verbietet endlich mal jemand die SPD? Osttangente heißt das Projekt. Gegen das erste Teilstück habe ich schon damals protestiert. Also wenn später mal die Schuldfrage gestellt wird, es waren diejenigen, die bei NTV-Umfragen an Tankstellen befragt wurden!
Dann geht es schräg weiter nach Moers. An einer Bundesststraße entlang ist das erste Teilstück des beidseitig befahrbaren Radstreifens, der natürlich noch mit Fußgängern und Gassitieren geteilt werden muss, noch gut in Schuss. Ich fahre an einer riesigen Mercedes-Vertretung vorbei, wo aufgereiht die jungen Sterne glotzen. Wann wird das endlich strafbar, denke ich mir. Aber der Zorn verfliegt, wenn ich die riesige Kreuzung dahinter geschafft habe. Selbstverständlich ist die Fahrrad-/Fußgängerampel nur einen Bruchteil der Zeit des motorisierten Fließverkehrs auf grün. Da muss die Straßenverkehrsordnung schon mal etwas gedehnt werden, was Verkehrserzieher gerne mit Hupen quittieren. Der Radweg, der dann folgt, ist im desolaten Zustand, seit mindestens zwanzig Jahren, denn so lange kenne ich ihn schon. Ist scheinbar egal, dass hierüber die Schulen von Schülern angefahren werden. Da meckere ich doch etwas leiser über die Elterntaxen. Mir ist das im Winter leider auch oft zu gefährlich, da der Weg darüberhinaus schlecht beleuchtet ist und die entgegenfahrenden Autos mich bei Dunkelheit blenden. Es folgen Ampelkreuzungen, die eine Grünphase aussetzen, wenn man nicht rechtzeitig den Knopf drückt. Grüne Welle ist eher Glücksache. Als Kampfradler sehe ich das natürlich sportlich, wenn keine Kinder in der Nähe sind. Auf dem Rückweg wird es wieder noch gefährlicher, weil die Autofahrer meist nur den Blick für den Radverkehr von links haben. Ist ja auch klar, normalerweise gehören an beide Seiten große Radwege. Nicht so im Kreis Wesel. Aber manchmal werde ich entschädigt, wenn ich kilometerlang an stehenden Kfz vorbei radle oder von der Autobahnbrücke runter auf den Stau schaue, in dem ich im Winter stehen werde. Jetzt ist aber alles gut. Im August habe ich rund 1000 Kilometer Autofahren gespart, was bei meinem LPG-Verbrauch ungefähr 120 Euro weniger Sprit bedeutet und pro Tag 600 bis 800 Kalorien Mehrverbrauch brachte. Und das ganze ohne Tankrabatt. Sollte mich nicht irgendwann ein Rechtsabbieger erwischen, dürfte sogar meine Lebenserwartung steigen. Ach ja, unsere Balkonsolaranlage hat achf 50 KW erwirtschaftet. Ich fand den August schon ganz gut.Besser fände ich es, wenn endlich eine anständige Radinfrastruktur käme und nicht nur darüber geredet wird.
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