Kann uns die klinische Psychologie helfen, eine der identitätspolitischen Verwirrungen der jüngsten Zeit zu verstehen? Ich wage hier den Versuch, denn Verstehen kann ja eine Brücke zum Verständnis oder gar Verzeihen sein.
Im Folgenden werde ich mich anhand der kognitiven Verzerrungen nach A.T. Beck bemühen, die Denkmuster nachzuvollziehen. Dabei wächst in mir das Bewusstsein, dass es wohl, ebenso wie bei religiösen Eiferern, kaum möglich sein wird, diesem geschlossenen Denken beizukommen.
Willkürliche Schlussfolgerungen sind vermutlich der Klassiker unter den Denkfehlern des Diskurses. Wenn du beispielsweise als Sängerin einer Band nach dem Sänger der Band gefragt wirst, mit dem ein Interview für ein bekanntes Heft gemacht werden soll, muss das nicht auf strukturell verankerte Frauenfeindlichkeit zurückzuführen sein, sondern kann es auch einfach eine schlechte Vorbereitung sein.
Gerne wird dieser Fehler mit der Übergeneralisierung verknüpft.Auf den Festivals des Veranstalters XY spielen immer zu wenige Bands mit FLINTA*-Beteiligung, ist beispielsweise eine Behauptung, die uns häufig begegnet. Dies natürlich in der Kombination mit der willkürlichen Schlussfolgerung.
Das nur in die Kategorien FLINTA* und alte weiße Cis-Punks unterschieden wird, ist ein Hinweis auf dichotomes Denken. Demnach können FLINTA* nur Opfer und alte weiße Cis-Punks nur Täter sein. So ist der alte weiße Cis-Punk mit wechselnden jüngereren Freundinnen natürlich Triebtäter, während die alte weiße Cis-Punkerin mit ähnlichen Beziehungsvorlieben das niemals sein kann.
Die Personalisierung von Geschehen umweht ein wenig der Hauch von Verschwörung.
Dass nun Akne Kid Joe und Baboon Show auf Festivals spielen können, hat nur mit dem eigenen tapferen Einsatz für unterdrückte FLINTA*-Bands zu tun, wäre die positive Sichtweise.
Wenn sie nicht spielen, hängt das mit dem Handeln von Alex Schweers oder Joachim Hiller zusammen, die bekanntlich an den Hebeln der Macht sitzen und natürlich auch Männer sind.
Im Sinne der Selektiven Abstraktion wird gerne darauf verwiesen, wieviel eine Person für die Frauenrechte getan hat, aber nicht gesehen, dass weitergehend erfolgreich Produkte wie zum Beispiel GG Allin verkauft werden.
Eine Kritik daran oder an bestimmten Aktionsformen oder Äußerungen von FLINTA-Personen wird dagegen zur Mysogenie erklärt, womit wir im Sinne des dichotomen Denkens bei der Maximierung wären. Das gipfelt dann gerne auch mal in der Katastrophisierung. Auf einem Konzert, auf dem nur Männerbands spielen, wird es nur ein Männerpublikum geben. Die wenigen Frauen werden folgerichtig nur als Fickfleisch gesehen und so behandelt. Sie werden niemals mehr als die Freundinnen von sein können. Jederzeit werden sie unterdrückt und am Ende gar missbraucht.
Wenn das dann nicht passiert, wird zur Bazooka gegriffen: Der Emotionalen Beweisführung.
Gegen das Gefühl gibt es schließlich nichts einzuwenden. Jeder Versuch mit Sachlichkeit dagegen zu wirken, vergrößert nur die Rechtmäßigkeit des Anliegens. Siehe hier auch Zwangsstörungen, was aber ein anderes Kapitel ist (Stichwort: verrückte Freundin).
Durch die Etikettierung wird aus einer Äußerung oder Handlung (siehe auch Übergeneralisierung) ein umfassender Sachverhalt gemacht. So reicht beispielsweise ein erklärender Kommentar unter einem Post dazu, den Kommentar selbst als Mansplaining hochzujazzen. Und ist etwas einmal etikettiert, wird die Etikette auch nicht mehr hinterfragt und zum Fakt selbst.
Das macht das Gedankenlesen lesen leicht: Verziehe ich beispielsweise das Gesicht bei der Erwähnung eines bestimmten Buches aus dem Ventil-Verlag, wird daraus gleich geschlossen, was ich über die Herausgeber*innen denke. Und wenn ich schon so denke, kann das ganze natürlich schnell maximiert auf sämtliche Autoren im Buch hochgerechnet werden.
Dabei hilft dann auch die Selektive Wahrnehmung, die jegliche andere Wahrnehmung ausschließt.
Die Szene wird nur noch aus der sogenannten Flinta*-Perspektive (hier eigentlich fast nur Frauen, alle anderen werden mitgedacht) gesehen und bewertet. Qualitative Elemente treten in den Hintergrund, wenn der Themenkreis nicht positiv geschnitten wird.
Und Sollte-Sätze verhindern schließlich, dass die Kampfzone vielleicht auch mal wieder verlassen werden kann. Wer sich als alter weßer Mann zu dem Thema äußert, sollte sich erst einmal seiner männlichen Privilegien bewusst sein, Flinta* zuhören und am besten die Fresse halten.
Das tue ich hiermit und hoffe, dass es sich ebenso wie mit Antiimps und Antideutschen auswächst und mit der echten Lebenserfahrung wieder etwas mehr Entspannung reinkommt.
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