15 Punkte das Bildungssystem zu retten

Wie schafft man das als Lehrer so?

Bei mir kann ich sagen, dass das halt immer auch von meiner persönlichen Kraft abhängt. Viele Kollegen arbeiten in Teilzeit, damit sie diese Kraft haben. Das heißt, sie kriegen für eine volle Stelle (tatsächliche Arbeitszeit) weniger Lohn, bereiten dafür aber ihren Unterricht anständig vor. Andere arbeiten die Wochenenden und halben Ferien durch. Einige davon verschwinden dann von einem Tag auf den anderen in die Gagaklinik. Dann wundert man sich immer wieder: „Ach Mensch, ich dachte der/die würde das alles so wuppen“. Andere sammeln Entlastungsstunden, die gerne für sogenannte Schulentwicklungsvorhaben rausgehauen werden. Zwar haben die oft keinen praktischen Nutzen, sehen aber auf dem Papier toll aus. Alles ist besser, als zu oft im Klassenraum stehen zu müssen! Die begrenzten Karrieremöglichkeiten zu nutzen, ist ein offensiver Weg dahin: Am Ende winkt vielleicht ein geregelter 8-Stunden-Tag im Ministerium oder in irgendeinem Kompetenzteam außerhalb von echter Schule. Mit der richtigen Einstellung kann auch dies klappen, wenn man ordentlich Selbstverleugnung betreibt. Für die Außenstehenden: Um in NRW befördert zu werden, ist es notwendig eine dienstliche Beurteilung zu bekommen, die im wesentlichen davon abhängt, das Schaulaufen aus dem Referendariat fortzusetzen. Also man zeigt beispielsweise, dass man eine Konferenz leiten kann und organisiert diese in kooperativer Form (also beispielsweise arbeitsteiligen Gruppenarbeiten, die Kollegen ebenso wie Schüler hassen). Sowas passiert im echten Leben natürlich nie, weswegen die gute Leitung mancher Schule auch ein unmögliches Unterfangen ist. Am Ende solcher Beförderungsrituale steht dann meistens so ein Schild wie ‚sprachsensible Schule’, ‚Bildung für nachhaltige Entwicklung’ oder ähnliches am Schultor. Für solche Siegel müssen ordentlich Konzepte  geschrieben oder die beliebte Lehrplanarbeit betrieben werden. Ihr könnt euch vorstellen, dass das sehr viel Zeit frisst.

Das Problem mit der Unterrichtszeit

Und die Zeit ist das Problem: An so einer Schule genießt ein Lehrer in der Regel 25,5 bis 28 Schulstunden á 45 Minuten, die in der guten alten Zeit, als Lehrer nachmittags frei und vormittags recht hatten, bequem in einen Vormittagsunterricht zwischen 8 und 13.30 gepackt werden konnten.

Mit guter Organisation ließ sich danach noch ein Mittagessen einnehmen, ein kleines Schläfchen halten und danach zwei bis drei weitere Stunden die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts betreiben und das eine oder andere pädagogische Gespräch führen. Die Klassenarbeiten fielen leider da schon meistens in die Wochenenden, aber dafür gab es ja die Ferien, die frei waren.

Konferenzen waren kurz und selten. Eine gute Schule zeichnete sich dadurch aus, dass die Schüler im Rahmen ihrer Möglichkeiten gut gefördert wurden. Gute Gymnasiasten, gute Realschüler und gute Hauptschüler produzierte dieses langweilige System. Die besten ihrer jeweiligen Schulform konnten höherwertige Abschlüsse erzielen.

Heute dehnt der gebundene (verpflichtende) Ganztag den Unterricht in den Nachmittag hinein. Um zwei oder drei Stunden am Nachmittag zu bleiben, muss noch eine Stunde Pause zu Mittag gemacht werden. Weil dort bei gleichen Stunden mehr Platz zur Verfügung steht, entstehen Springstunden, die entweder unterrichtsfrei sind oder mit Vertretungsstunden gefüllt werden. Da an den meisten Schulen keine Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und man die Stunden schlecht planen kann, weil man permanent greifbar ist und unterbrochen wird, kann man diese Zeit weder für Vor- und Nachbereitung noch für Korrekturen nutzen. All das fällt in den Bereich nach 17 Uhr. Ihr merkt schon, dass könnte einer Work-Life-Balance eher abträglich sein. Dazu kommen gehäufte Teamsitzungen, Arbeitskreise für Schulentwicklung und verlängerte Konferenzen, in denen die Ergebnisse der Teamsitzungen und Arbeitskreise sowie Schulentwicklung in epischer Länge besprochen werden. Also die für den Unterricht unrelevanten Themen fressen auch noch an der Zeit. Erarbeitete Konzepte werden ja meistens auch im Homeoffice beendet.

Überlebensstrategien

Beim Lesen beschleicht euch mittlerweile bestimmt die Frage, ob der Schreiber sich überhaupt noch ums Unterrichten kümmert, schließlich hat der Zeit, diesen Blog zu schreiben und auch noch all die schreckliche Musik sowie regelmäßig Sport zu treiben. Ich sage hier natürlich ja. Das liegt daran, dass ich als Mann von Haus aus Superkräfte habe. Meine sterblichen Kollegen und Kolleginnen sowie Kolleg:innen haben diese leider nicht, was dazu führt, dass die Unterrichtsvorbereitung extrem leidet. Je nach Fach und Lehrertyp werden entweder Arbeitsblätter aus dem Netz oder aus dem Schulbuch selbstlernend abgefrühstückt oder spontaner lehrerzentrierter Unterricht anhand altbekannter Themen wird aus der Hüfte geschüttelt. Schließlich macht man ja jedes Jahr einen ähnlichen Quatsch. Je nach Erfahrung und Skills der Lehrkraft kann dies sogar manchmal überraschend gut sein. Vor den Zeugnissen finden dann regelmäßig die Filmfestspiele statt, damit die restlichen Noten noch schnell zurechtkorrigiert  werden. Oft ist dies der Moment, dass Lehrer erstmalig mitbekommen, dass Schüler auch nach fünf Jahren Schule noch nicht einmal Satzanfänge groß schreiben können.

Da die Arbeitsbelastung durch extrem heterogene Lerngruppen auch extrem hoch ist, schlauchen auch diese Stunden wahnsinnig. Lernbehinderte Schüler und welche, die mal Abitur machen wollen, ist halt ein wenig viel, wenn dann auch noch die Verhaltensoriginellen dazu kommen. Früher hattest du einen pro Jahrgang, der dich ans Limit brachte und maximal vier in der Klasse, die man in den vier Ecken des Raums verteilen konnte, heute sind es oft ein Drittel oder sogar die Hälfte die eigentlich an an einer Förderschule unterrichtet werden müssten, um ihnen gerecht zu werden.

Unter den Tisch fallen leider die anderen Schüler in einer vollen Klasse. Und die gibt es ja auch noch: Kinder, die Erziehungsberechtigte haben, die, warum auch immer, es schaffen, ihren Kindern Basiskompetenzen mitzugeben. Das funktioniert wundersamer Weise unabhängig von Bildungsstand oder sozialem Status. Ach ja, das muss die berühmte Kontingenz sein. Ganz ehrlich: Ich ziehe den Hut vor den Kindern, die es in solchem Schulumfeld immer wieder doch schaffen. Und das schlechte Gewissen drückt mich oft genug, dass man für diese Menschen so wenig Zeit hat. Aber das ist der Preis der integrierten und inklusiven Gesamtschule. Nicht umsonst versucht jeder, der die Hoffnung hat, sein Kind könnte es irgendwie schaffen, sein Kind an ein Gymnasium zu bringen. Viele von denen landen ja nach zwei Jahren der Demütigung an meiner Schule.

Was von den Vorschlägen der KMK-Kommission zu halten ist

Tja, jetzt bin ich doch wieder ins Lamentieren gekommen, dabei wollte ich meinen Senf dazu geben, was in meinen Augen zu tun wäre, wenn wir die nächsten 20 Jahre mit eklatantem Lehrermangel zu tun haben. Die Vorschläge der KMK-Kommission sind natürlich geprägt vom Tunnelblick derer, die mit ihren Vorschlägen für Schulreformen etc. mit verantwortlich sind, für die aktuellen Probleme, die meinen Alltag ausmachen, den ich oben beschrieben habe. So ist natürlich klar, dass die Beschränkung der Teilzeit zur Verschlechterung der Qualität des Unterrichts führt. Man sollte den Lehrern dankbar sein, dass sie auf eigene Kosten guten Unterricht nachhaltig versuchen sicherzustellen. Müssen sie in Vollzeit landen sie entweder bei vollen Bezügen im Burnout oder betreiben die Art von Unterricht nach Vorschrift, wie ich sie beschrieben habe. Vielleicht passiert auch beides.

Dem akuten Lehrermangel mit Pensionären zu begegnen? Nun denn, wenn es da welche gibt, sollen sie ruhig kommen. In der Regel versucht man sie ja auch nur im Unterricht in angenehmen Lerngruppen unterzubringen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass einer von denen freiwillig an eine Grundschule oder Gesamtschule im Brennpunkt geht. Klar, so ein netter Kunst oder Philosophie LK in der Oberstufe im Essener Süden, kann man machen. Und dann werden die Stammlehrkräfte, die es dort gibt, zwangsabgeordnet an eine Gesamtschule im Norden. Ich hole schon mal das Popcorn, um die Schnappatmung beim Philologenverband zu genießen. Schlimm genug, dass die Lehrkräfte dort gleich bezahlt werden, jetzt noch dahin zu müssen, ist unzumutbar. Der Krankenstand dürfte enorm in die Höhe schnellen.

Seiteneinsteiger und Studenten können teilweise funktionieren. Ich war ja selbst neben meinem Studium mit einer halben Stelle an der Schule. Hat ganz gut geklappt, fand ich. Examinierte Lehrer können mindestens genauso schlecht sein, wie mancher, der sich unbedarft und engagiert hinein traut. Der Blick von außen kann nicht so verkehrt, zumal das Referendariat ja auch nicht unbedingt auf die Schule vorbereitet. Aber wo kommen die Lehrer her, die diese beim Einstieg nicht nur auf dem Papier begleiten? Vielleicht kann man die ja aus dem Ruhestand nehmen. Das fände ich gangbar. Die Probleme löst man damit nicht.

Die Mehrarbeit von Lehrern ist unter den gegebenen Umständen natürlich kontraproduktiv, denn meistens arbeiten die Lehrkräfte durch Vertretungen eh schon regelmäßig mehr und zweitens am Limit.

15 Punkte, die neben der Mehrarbeit für Lehrer angegangen werden müssen

Mehrarbeit ist in meinen Augen dann möglich und unbedingt vertretbar, wenn folgende 15 Schritte zur Reformierung der Schulen vorgenommen werden:

 

  1. Streichung des gebundenen Ganztags: grundsätzlich also eine Rückkehr zum Regelunterricht am Vormittag. Ganztagsangebote wie AG und Hausaufgaben sind nicht verpflichtend und werden von Seiteneinsteigern und Lehrkräften im Ruhestand geleistet. Diese ließen sich auch externalisieren, um beispielsweise in Stadtteilen schulformübergreifende Angebote zu erstellen.
  2. Homogenere Lerngruppen durch ein gegliedertes Schulsystem oder durch die Möglichkeiten einer kooperativen statt integrativen Gesamtschule, um jedem Kind gerecht zu werden. Zur Einordnung in die jeweilige Schulform werden halbjährliche Evaluationen/Vergleichstests herangezogen, die zentral zur Verfügung gestellt werden. Dazu zählt die Einschätzung des Lehrers.
  3. Aufbau einer Schulform für Schüler mit Erziehungsdefiziten, an denen mit kleinen Klassen und multiprofessionellen Teams gearbeitet werden. Die dort tätigen Lehrkräfte werden besser bezahlt als Lehrkräfte an allen anderen Schulformen, haben weniger Unterrichtsstunden. Sozialarbeiter und Therapeuten bekommen ebenfalls den Beamtenstatus.
  4. Schulen müssen sich nicht um digitale Konzepte kümmern. Sowohl die Software als auch Hardware ist an allen Schulen gleich. Nicht jede Schule erfindet die Digitalisierung neu. Dafür gibt es IT-Kräfte und eine zentrale gut besetzte Hotline bei Problemen.
  5. Lehrpläne werden fertig zur Verfügung gestellt. In einer Art Multiple-Choice bestimmt die Schule, was davon gelehrt wird.
  6. Zentral werden Unterstützungstutorials für alle Schulen hergestellt, die für Schüler und Lehrer standarisiert die kompletten Lehrinhalte abbilden. Diese können notfalls auch für hybride Unterrichtsformen eingesetzt werden.
  7. Schulordnungen und dazugehörige Sanktionsmaßnahmen werden für alle Schule gleich gesetzt.
  8. Externe Unterstützung bei Problemschülern, die die Zusammenarbeit mit Jugendämtern etc. regeln.
  9. Einschulung erst wenn die Kinder schulreif sind und der Besuch der weiterführenden Schulen ist an den Erwerb von Basiskompetenzen im schulischen und sozialen Bereich gebunden. Falls dies nicht möglich ist, Besuch einer Förderschule oder der neuen Schulform aus Punkt 3.
  10. Nur noch maximal zwei Klassenarbeiten pro Schuljahr. Dafür zentral gesteuerte Evaluation zum Lernstand sowie dazugehörige Zeit anhand der Ergebnisse Maßnahmen zu ergreifen.
  11. Eine einzige digitale Schulplattform, die sowohl organisatorische als auch Lehrinhalte beherbergt.
  12. Leistungsgerechtes Beförderungssystem, dass nicht nach erfolgreichem Schaulaufen sortiert. Das heißt, ein guter Klassenlehrer kann auch nur dafür befördert werden.
  13. Obligatorische Unterstützungsangebote für erziehungsschwache Elternhäuser.
  14. Nebenfachlehrer ohne Korrekturen haben ein höheres Stundendeputat. Alternativ dazu könnten Korrekturen ausgelagert werden. Lehrkräfte, die den Herausforderungen im Klassenraum nicht mehr gewachsen sind, korrigieren für die lehrenden. Das würde die Ergebnisse auch objektivieren.
  15. Aufsichten und Trainingsräume werden durch externes Personal bestückt.

 

 

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