Zwei Hauptstädte und zwei unbedingte Empfehlungen
Zweimal female-fronted Sounds zweier Generationen habe ich diesmal im Angebot: Berlin und Wien, zwei Hauptstädte und zwei unbedingte Empfehlungen, das sei vorweggesagt.
Fangen wir mit MONA MUR an, die mir normalerweise bekannt hätte sein müssen, mir aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen komplett unter dem Radar geblieben sein muss. Das Vinylrelease des 2019er Albums auf Cheezy Crust Records ist nämlich nur eines der seit den frühen 80er-Jahren umtriebigen Künstlerin. Dank der vielfältigen Möglichkeiten der digitalen Welt kann ich diese Bildungslücke nun schließen und mir die Sachen anhören, die sie unter anderem mit FM Einheit oder auch Miron Zownir gemacht hat. Spannend, ganz tief in der Berliner Freakszene, hier kommt bestimmt keine Langeweile auf. Und so ist es mit dem Album. Das kommt wie ein Soundtrack für das Kopfkino daher: Augen schließen, hören und ab der Film! Toll: Die Bilder, die durch die Songs erzeugt werden, haben viel von Lynch und Wenders… das fortwährende Gefühl in einem Roadmovie dem Getriebensein zu folgen. Die Poesie ist treffend in Szene gesetzt. Manisch treibend und diese tollen Italo Western-Gitarren. Twang heißen die und Ralf Goldkind —ach, der von Lucilectric!— ist dafür verantworlich, wie mich das Info lehrt. Hier sind also jede Menge arrivierter Künstler unterwegs. Und das hört man auch. Hier ist alles stimmig. Und auf der B-Seite verlassen die Songs die stonernden Gefield und es wird elektronischer, experimenteller und härter. Hier hört man auch deutlich, wo die gemeinsamen Wurzeln liegen. Cooler Scheiß, sexuell aufgeladen, lasziv und zynisch. Rausch und Kater sind hier eins. Das hört sich exakt so an, wie ich mir ein Lydia Lunch-Album immer gewünscht hätte.
LAUT FRAGEN aus Wien sind „nur“ ein Duo und etwas jünger. Und ich frage mich sofort, was die beiden Bands wohl voneinander halten würden: Wären die Berliner den Wienern zu unpolitisch und persönlich? Und würden die Wiener von den Berlinern als kurzlebiges Zeitgeist-Phänomen abgestempelt? Oder würde man sich in gegenseitigem Respekt begegnen? Ich erkenne auf jeden Fall einige Schnittmengen, wie zum Beispiel die stimmlichen und lyrischen Qualitäten der Sängerinnen. Auch die elektronischen Kompositionen habe diesen manischen Groove, der einen nicht so leicht loslässt. Das wäre bei LAUT FRAGEN naturgemäß etwas weniger aufwendig, wird aber durch reichlich Gastmusiker wettgemacht. So geht es auch extrem abwechslungsreich zu. Da ist nicht das eine Konzept, ein Trick, sondern Maren und Didi schöpfen aus dem Vollen. Mal denke tatsächlich auch an MONA MUR, dann an KONTROLLE oder auch 100 BLUMEN,gerade was die Gesellschaftskritik angeht. Konsumorientierter Eskapismus, Reduktion auf das Körperliche, Ungleichheit, Klima und die städtische Tristesse… LAUT FRAGEN sind eindeutig angepisst von den Gegebenheiten. Die Krisen der Welt und des Individuums werden hier bearbeitet und benannt. Dabei sind sie textlich stark, denn nie plump. Sie öffnen den Blick für das dystopische Jetzt, grandios reduziert beispielsweise mit dem Gewalt-ähnlichen Titeltrack ‚Age of Angst‘. Meistens sind sie aber nicht so reduziert, sondern nehmen sich mehr Raum und Gestaltung der Texte, die auch alleine veröffentlicht werden könnten. Das Album endet mit einem der Frage nach einer Utopie, die jetzt noch fehlt.
Das ist in Summe stimmig, kreativ und in meinen Augen künstlerisch wertvoll und trotzdem eingängig und unterhaltsam.
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