Statistiken des Todes: Rebellion 2023 vs. Ruhrpott Rodeo 2024

Nach dem Ruhrpott Rodeo ist vor dem Rebellion

Nach dem ersten Teil der Festival-Seesong 2024 bietet es sich an zur Einstimmung auf den zweiten Teil, z.B. in Form des Rebellion Festivals in Blackpool oder auch viele andere Punkhappenings eine kleine Erbsenzähler-Statistik anzubieten. Dringende Fragen brennen dem Audiogourmet unter den Ohrläppchen: Spielen wirklich immer die gleichen Bands beim Ruhrpott Rodeo? Wie hoch war der Frauenanteil dieses Jahr? Wie steht es um die allgemeine Vielfalt bei großen Punkfestivals? Gibt es Unterschiede auf der Insel (= in England) vs. in Deutschland (= im Ruhrgebiet)? Und noch viele Fragen mehr natürlich…

Um dies genauer zu ergründen, wurde vom Autor eine umfassende Feldforschung mit großer Stichprobe über mehrere Jahre unternommen. Gerne teile ich die ersten empirischen Beobachtungen an dieser Stelle mit Euch, werte Leserschaft.

Aber bevor wir zu den Insights kommen – wie wäre es mit einer kleinen abstrusen Theorie: Die Vielfalt eines Festivals wirkt positiv auf das Wohlbefinden und den Spaß des Publikums, den dieses durch die Veranstaltung erfährt. Dieser Zusammenhang wird moderiert durch die externen Umstände, also Anreisestau, Regenwetter, Temperatur usw. sowie die Besucherschaft selbst – Standardabweichungen können je nach Kundensegment positiv, negativ oder auch indifferent wirken (besser mal eine Tautologie, als keine). Wofür könnte das wichtig sein? Natürlich für die Wirkung von Kundenzufriedenheit, die z.B. zu Bindung (= erneuter Besuch) und Weiterempfehlung führt (neben direkten Effekten wie höherem Bier- und Merchandise-Konsum). Also ein wichtiges Thema für alle, die potentiell Geld damit verdienen. So in etwa:

Die Messung der Vielfalt eines Festivals könnte man nun einfach aufziehen oder auch komplizierter betrachten, indem man sich z.B. 17 Kriterien überlegt und diese mit einer klaren Gewichtung aufsummiert für alle Darbietungen der Veranstaltung. Die Formel bleibt natürlich geheim, das Ergebnis zeige ich Euch aber trotzdem später ; ).

Vergleich Ruhrpott Rodeo 2024 vs. Rebellion Festival 2023

Aber schauen wir uns zunächst das Ruhrpott Rodeo 2024 im Vergleich zum Rebellion Festival 2023 an:

Von der Besucherzahl sind die beiden Festivals ähnlich aufgestellt – in Hünxe fehlen zwar Pier, Strand und Mini-Golfanlage, die man in Blackpool genießen kann; dafür gibt es Bullenreiten, Riesenrad und weiteres Unterhaltungsprogramm. Zudem hat man es beim Open Air mit 2 Bühnen statt 7 etwas übersichtlicher und die Anreise ist für die meisten Leser sicher unproblematischer.

Während beim Rebellion an 4 Tagen mehr als 1.100 Punk, Oi! und Hardcore-Musiker:innen auf einem Haufen bzw. mindestens einmal auf einer der Bühnen zu sehen sind; kommen beim Ruhrpott Rodeo an 3 Tagen immerhin auch 186 Musiker auf die Bühne.

Da ich mir letztes Jahr 200 Bands in Blackpool angeschaut hab (von 263 ohne Akustik-Bühne) und auf Basis von 45 Stunden Live-Musik, 56 Laufkilometern und 800 Höhenmetern (da gibt’s viele Treppen zwischen den Bühnen) berichten kann, sieht der Vergleich zum diesjährigen Ruhrpott Rodeo mit 44 Bands (die übrigens mit 31 Stunden Live-Musik, im Schnitt deutlich länger spielen als das englische Programm) wie folgt aus:

Im Schnitt setzten die Bands bei beiden Festivals sich aus exakt 4,2 Musiker:innen zusammen und die typische Instrumentierung bestand neben dem Schlagzeug aus einem Fender Bass und zwei Gibson Gitarren (wobei die Markenvielfalt in Hünxe mit 98 prozentiger Wahrscheinlichkeit deutlich größer war!). Wenig verwunderlich: 85% der Bands bestanden aus 3-5 Musiker:innen, also mal mit zweiter Gitarre und/oder Sänger ohne Instrument; Duos und mehrköpfige Gruppen mit Bläsern oder Geigen etc. bildeten eher die Ausnahme. Auch wenn der Durchschnitt beider Festivals gleich ist; sieht man doch das beim Rodeo deutlich mehr Trios und Quintette, aber weniger Quartette zu sehen waren:

 

Vor wie vielen Zuschauern spielen die Bands tatsächlich?

Auf dem Rebellion-Festival spielt die Hälfte der Bands vor weniger als 300 Zuschauern – nur 20% der Auftritte fanden vor mehr als 1000 Zuschauern statt (Das Festival findet im Wesentlichen auf 6 Bühnen statt, die zwischen 500 und 3500 Besucher zulassen). Es ist also fast immer (Ausnahmen bilden meist 1-2 Headliner wie Stranglers, Cock Sparrer oder auch U.K. Subs) möglich sich einen Wunschplatz im Raum und auch vor der Bühne auszusuchen. Auch beim Rodeo kann man sich seinen Platz sehr gut aussuchen und aus allen möglichen Perspektiven die Darbietungen bestaunen; die Bands spielen aber jeweils vor deutlich größerem Publikum, da die Bühnen natürlich immer abwechseln und es keine parallelen Auftritte gibt – die Qual der Wahl, die beim Rebellion doch immer wieder hart zuschlägt (schaue ich mir U.K. Subs oder Sloppy Seconds an? Soll es Exploited oder Steve Ignorant mit seinem Crass Set sein? Schaffe ich es zu New Model Army oder zu den Toten Hosen?) entfällt.

Spielen immer die selben Bands auf den Festivals?

Letztes Jahr waren beim Rebellion rund 25% der Bands auch im Vorjahr schon am Start gewesen; beim Rodeo waren es in diesem Jahr nur 2%! Beim Rebellion waren 70% der Bands aus England; rund 15% aus USA; sowie eine kleine bunte Mischung aus Italien, Deutschland, Schweden, Frankreich, Brasilien, Mexiko, Portugal usw. Dagegen bietet das Rodeo mit 50% Bands aus Deutschland sowie einer bunten Mischung aus 10 weiteren Ländern von 3 Kontinenten doch eine größere Internationalität.

Wie sehen die denn aus? Ist das noch Punk?

Sichtbare Tätowierungen hatten in Blackpool 38% der Musiker (aber nur 1,5% Gesichtstätowierungen) – in Hünxe war die Quote sichtbarer Tätowierungen primär wetterbedingt mit 34% niedriger – da es mit 2,2% aber mehr Gesichtstätowierungen zu finden gab, kann man davon ausgehen, dass tatsächlich auch mehr Tattoos auf der Bühne getragen wurden.

Nur 9% trugen in England eine Brille (+ 7% mit Sonnenbrillen) somit konnten sicher viele vom Publikum nicht viel sehen oder waren mit Kontaktlinsen ausgestattet; in Deutschland scheint das tragen von Brillen weniger problematisch zu sein – auch wenn die Bands im Schnitt jünger waren als beim Rebellion, wurden beim Rodeo 11% Brillen + 15% Sonnenbrillen gesichtet! Man beachte: Beim Rodeo trugen 16,3% der Musiker:innen von Bands aus Deutschland eine Brille, während dies bei nur 6,4% der Vertreter anderer Länder der Fall war. Eine Frage der Eitelkeit, vielleicht?

Hüte/Mützen (und anderweitige Kopfbedeckungen) und Bärte waren mit jeweils rund 19% beim Rebellion in etwa gleich auf. Beim Rodeo haben die Musiker:innen die Nase vorn: 23% Kopfbedeckungen und 27% Bärte sprechen eine klare Sprache!

Dafür sieht es in der nächsten Kategorie etwas schwieriger aus fürs Rodeo: Bunt gefärbte Haare waren in Blackpool mit 12% genauso häufig zu finden wie Skinheads – auch wenn bei letzteren ein erheblicher Teil eher der Kategorie „unfreiwillige Glatze“ zuzuordnen ist. Beim Rodeo waren es lediglich 10% mit bunten Haaren und 8% Skinheads (inkl. unfreiwillige Glatzen) unter den ausführenden Akteuren.

Alter und Geschlecht

Im Schnitt waren die Bands in England etwas jünger als das Publikum; viele der älteren Bands haben sich inzwischen mit jüngerem Nachwuchs verstärkt, so dass die grob geschätzte Altersstruktur bei Mitte 40 auskommen müsste – es gab jedenfalls weniger Bands, die jünger als 25 waren (19%), als solche die über 60 Jahre alt waren (22% – die Zahl ist durch Verjüngungskuren deutlich niedriger als sich aus den Bandnamen ergeben würde). Beim Rodeo war der Schnitt etwas niedriger; wenn auch nicht so massiv wie man hoffen könnte, vielleicht 15% niedriger; aber die Standardabweichung war sicherlich nochmal geringer als beim Rebellion, mit den vielen sehr sehr sehr alten dort gastierenden Punkveteranen.

26% der Bands hatten beim Rebellion eine Sängerin, aber nur 15% der Musikaufführenden waren weiblich. 6,5% der Gruppen bestanden nur aus weiblichen Mitgliedern, während 63,5% der Bands keine weiblichen Mitglieder hatten. Das ist sicher schwer aktuell zu toppen; entsprechend kam das Ruhrpott Rodeo dieses Jahr auf 20% Frontfrauen, 12% Musikerinnen und 5% all female bands.

Oberkörperfrei auf Festivalbühnen

Ich überlasse es nun Euch, wie ihr Euch eine durchschnittliche Punk oder Hardcore-Band vorstellt – viel Spaß! ; ) Was den zuvor angesprochenen Vielfaltsindex angeht: Mit einem Indexwert von 73 Punkten hat das Ruhrpott Rodeo nur knapp die Nase vorne vs einem Wert von 68 Punkten für das Rebellion.

Das Merchandise und die Länge der Bandnamen

Merchandise ist ein großes Thema: Ich habe in meiner unvollständigen Sichtung 542 Shirtmotive von spielenden Bands an deren Verkaufsständen in Blackpool gesehen, also somit 2,7 T-Shirts pro Band im Schnitt. Es gab auch welche ohne oder auch nur mit einem Shirt, klar; die meisten hatten aber ein buntes Potpourri dabei. Der durchschnittliche Shirtpreis von 13,4 GBP, den man inzwischen meist auch per Karte o.ä. entrichten kann, täuscht etwas bzgl. der Preisspanne, die mit 10 GBP bis 30 GBP doch recht groß war. Mit 39% Anteil waren 15 GBP aber die goldene Mitte. Das Strandtuch von Murphys Law oder ein signiertes Snare Drum-Fell von Millie Manders sind natürlich gute Alternativen zum schwarzen Oberkörpertextil; ob nun aber Conflict ein Skateboard-Portfolio benötigen, lasse ich mal als Frage stehen.

Beim Rodeo war ich etwas nachlässiger was die Merchandise-Bestandsaufnahme betrifft – von knapp mehr als der Hälfte der Bands habe ich Stände bzw. Shirtmotive gesehen, mit insgesamt 108 Motiven bzw. Varianten; was so gesehen im Schnitt mehr ist als in England, aber doch auch irgendwie nicht so richtig vergleichbar. Die Shirtpreise unterlagen allerdings auch in Hünxe mit einer Spanne von 15 bis 40 Euro erheblichen Schwankungen, wobei hier die Besucher aus Übersee meist nicht unerwartet erheblich härter zuschlugen als der heimische Nachwuchs.

 

Ach so, fast vergessen: Die Engländer haben im Schnitt um 11% längere Bandnamen im Line-Up! Beim Rodeo waren es 11,5 Zeichen pro Band vs. es beim Rebellion 12,7 sind. Ich habe den englischen Nachwuchs im Verdacht: „Spunk Volcano & The Eruptions“, „Millie Manders & The Shutup“ oder „Smoking gives you big tits“.. wer soll sich solche Bandnamen merken?

Und was war da noch?

Und zum Abschluss: Die Wiederholungsrate beim Rodeo lag in 2024 wie gesagt bei 2%, wenn man die Besetzung zum Vorjahr vergleicht – auf alle 16 Ausgaben bezogen waren es 41%. D.h. irgendwann hat man einige Bands vielleicht schonmal gesehen, aber auch: 59% der 44 Bands waren zum ersten Mal in Hünxe auf der Bühne! Bei insgesamt rund 549 Auftritten von 347 Bands kann das passieren. Mehr als 3 mal sind bisher 28 Bands dort erschienen. Die Lokalmatadore liegen dabei noch 2-3 Auftritte vor Knochenfabrik die bei rund 60% der bisherigen Rodeos dabei waren.

Wir sind gespannt was uns die Festivalsaison noch so anzubieten hat – ich hoffe ihr macht spannende Beobachtungen ; ) und mal sehen was es vom diesjährigen Rebellion zu berichten gibt. Stay tuned.

 

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*