Brauchtumspflege beim Arnhem Punk Fest Vol. 9

NapalmDeath

14.07.2024 Folklore am Sonntagnachmittag

Bevor Swen uns mit einem ausführlichen Bericht vom Rentnertreff in Blackpool beglückt, will ich auf eine weiter folkloristische Veranstaltung zur Brauchtumspflege in Arnhem zurückblicken.

Prolog

Auf dem Weg nach Arnhem unterhielt sich meine hochsympathische und kulturell aufgeschlossene Reisegruppe angeregt über in letzter Zeit besuchte Konzerte. Hierbei ging es in erster Linie um neue und frische Bands. Irgendwann fiel auch ein Satz, in dem angemerkt wurde, dass eines der kürzlich vom Rest meiner Reisgruppe besuchten Konzerte „Gott sei dank nicht so eine fürchterliche Pimmelparty“ gewesen sei und überwiegend Frauen im Publikum gewesen seien, was wiederum für eine angenehme Stimmung gesorgt habe. An dem Punkt konnte ich mir dann nicht verkneifen eine Anmerkung zu unserem Ausflugsziel zu platzieren. Schließlich standen mit NAPALM DEATH, den SUBHUMANS, DISORDER, VARUKERS, NEUROOT und EU’s Arse sechs Bands auf der Bühne, die in ihrer Gesamtheit eine bemerkenswerte Frauenquote von traurigen 0% aufweisen. Offensichtlich ist Anarcho-Punk, wenn man die Schublade denn so wählen mag, auch im Jahre 2024 nach wie vor solide Männersache. Zumindest auf der Bühne. Im Publikum sah dies zum Glück ein wenig anders aus, auch wenn hier eindeutig mehr augenscheinlich männlich gelesene BesucherInnen anwesend waren, als weibliche oder queere Menschen.

Als wir schließlich nach kurzer Parkplatzsuche gegen 16.30 Uhr vor dem Luxor ankamen,  gewann ich jedenfalls den Eindruck, dass ich mich auf eine Art Zeitreise begeben habe. Altersmäßig würde ich das Publikum zwischen 18 und irgendwas um die 60 einordnen. Der Anteil junger Leute war relativ hoch und ich fand es erstaunlich, dass deren Kleidung ziemlich exakt meiner eigenen Aufmachung von vor etwa 30 Jahren ähnelte. Selbst die Bandaufdrucke auf Patches und Shirts waren nahezu identisch. CRASS, CONFLICT, DISCHARGE, SUBHUMANS, NAUSEA, NEUROSIS,… Dazu szenetypische, modische Accessoires wie Nudelhaare, wilde Piercings und großflächige Tätowierungen. Letztendlich bewegte sich die Szene bereits Anfang der 90er Jahre auf ausgetretenen Pfaden. Nun ja: die Szene ist nun mal sehr wertekonservativ, auch wenn die Werte eher nicht konservativ sind. Es wirkt eben etwas altbacken und folkloristisch.

Die Bands

EU’s ARSE aus Italien haben wir leider verpasst. Die Band kannte ich tatsächlich nur vom Namen her. Nachdem ich mir ein paar Tage nach dem Punkfest in Arnhem ein paar Stücke im Internet angehört habe, bedauere ich, dass ich die Band nicht live gesehen habe. Der Mix aus musikalisch versiertem und dreckig gespielten, rüpelhaften D-Beat mit einem Schuss Kafka Process gefällt mir dann doch ausgesprochen gut.

THE VARUKERS standen als nächste Band auf der Bühne. Musikalisch dann doch eher aus grobem Holz geschnitzt und auch der Ausdruck den Sänger Rat auf der Bühne vermittelt auf mich eher hartmeiernd und machohaft wirkt. Ein bullig wirkender, alter, zorniger Mann in völlig ironiebefreiter, harter Streetfighterpose. Nun ja: Zumindest auf mich wirkt dies unfreiwillig komisch und als Rat das Stück „nothings changed“ ankündigt, frage ich mich, ob das nun eine Durchhalteparole sein soll oder vielleicht doch eher eine Bankrotterklärung darstellt. Schade wenn sich 30, 40, 45 Jahre nichts ändert. Im Gegensatz dazu wirken die meisten bürgerlichen Lebensläufe, die mich zeitlebens abgeschreckt haben, fast schon attraktiv.

SUBHUMANS haben wir dann leider bis auf den Zugabenteil nahezu komplett draußen verquatscht, was ein wenig schade war, da diese im Gegensatz zu den Varukers dann doch musikalisch wesentlich spannender und versierter zu Werke gehen und die Band um Sänger Dick selbst im fortgeschrittenen Alter wesentlich fresher wirkt, als es die VARUKERS je könnten.  Einer der beiden letzten Songs war jedenfalls Religious Wars, welcher der zweite noch aufgeschnappte Song war, weiß ich nicht mehr. Die Band ist jedenfalls nach wie vor sehenswert.

NEUROOT waren für mich ein wenig die Überraschung des Abends. Ich hatte die zwar schon mal gehört, dann aber doch eher als nicht so spannend verbucht. Die Gitarrenarbeit erinnerte mich doch sehr stark an die erste LP Behind The Realms Of Chaos der wunderbaren SACRILEGE aus Birmingham. Und in Gänze lieferten die drei Bandmitglieder ein kompaktes Set mit deutlicher Metal-Kante ab.

DISORDER: Nun ja. Hab‘ ich mal Anfang der 90er gesehen. Die waren damals nicht gut und sind bis heute auch nicht besser geworden. Also ziehe ich es vor im benachbarten Supermarkt ein Bier zu holen und vor der Tür ein wenig zu plaudern.

NAPALM DEATH liefern das große Finale. Ich habe die Band bereits 1987, 1999 und 2001 live gesehen und muss zugestehen, dass sie nichts an ihrer Spielfreude eingebüßt haben. Da ich die Veröffentlichungen der Band aus den letzten 20 Jahren eher sporadisch kenne (wer braucht schon deren gesamten musikalischen Output im Plattenschrank?), hatte ich den Eindruck, dass NAPALM DEATH relativ viel neueres Material spielten. So richtig unterscheiden ließ sich dies dann aber nicht wirklich, was wiederum eher eine untergeordnete Rolle spielt, da es bei NAPALM DEATH schließlich schon immer um Lärm und musikalische Dekonstruktion geht. Selbstverständlich sind die Kompositionen im Vergleich zu den ersten drei  Alben komplexer und vielschichtiger geworden. Keine Band besteht über eine so lange Zeit, ohne sich zu verändern und auch der Spannungsbogen von Blastbeatprügelattacken und Songs, die die Länge von 30 Sekunden nicht überschreiten, ist dann doch eher schwer über die Dauer von 37 Jahren, seit dem Erscheinen der ersten LP „Scum“, aufrecht zu erhalten. So ist die Musik, im Vergleich zu den ersten drei Platten, die man wohl mit Fug und Recht als Genreklassiker im Bereich Grindcore und Crustpunk bezeichnen darf, deutlich konventioneller geworden, sprengt aber nach wie vor Hörgewohnheiten. Easy Listening geht anders. Gegen Ende gab dann eben auch die vom Publikum eigeforderten Hits aus der Anfangsphase und die obligatorische Dead Kennedys-Coverversion „Nazi-Punks fuck off!“

Fazit

Alles in allem ein durchwachsener aber unterhaltsamer Sonntagnachmittag in netter Gesellschaft, der dann auch nahezu pünktlich um 22 Uhr endete.

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