Nachlese: Rebellion Festivals 2024

Rebellion? Ja, aber anders!

Nachdem mich Hubba quasi genötigt hat, etwas über das Rebellion Festival zu schreiben, mache ich mal daran. Vorausschicken muss ich allerdings, dass Mari und ich von den 300 Shows vielleicht sechs (Wonk Unit, Hard Skin, Meryl Streek, Baboon Show, TV Smith und FAT BOB Interview) komplett gesehen haben und weitere 9-10 (Harbour Rebels, Attila the Stockbroker, Crim, Rumkicks, Chris Murray u.a.) nur kurz.Ich denke, es war tatsächlich genauso, wie ich und alle anderen es sich im Vorfeld vorgestellt haben. Nachzulesen hier! Was meine persönliche Begeisterungsfähigkeit für ältere Menschen mit Punkhintergrund angeht, so dürfte die allgemein bekannt sein und keiner weiteren Erklärung bedürfen.

HIGHLIGHTS

Da erlebte ich mit dem Interview, das Johnny Wahwah mit Fat Bob von HARD SKIN führte, gleich nach Maris und meiner Anreise, quasi den Höhepunkt des Festivals. Fat Bob bedankte sich artig zu Beginn, dass die rührselige Musik endlich beendet wurde, die von der British-Punk-und Oi!-CD gedudelt wurde. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Johnny schlug auf und Fat Bob in Bestform zurück. Witze über das COCK Sparrer und COCKney Rejects Merchandise und Texte von Steve Ignorant, Deutschen Oi!, überhaupt alles und jeden … GROSSARTIG! Danke dafür! Genau wie für den am Tag danach folgenden HARD SKIN Auftritt, der mir ein Dauergrinsen ins Gesicht zauberte.

 

ENTTÄUSCHUNGEN?

Also, da mich natürlich Bands wie LOS FASTIDIOS nicht enttäuschen können, weil sie per Definition schon zum Folterbesteck gehören, muss hier CHRIS MURRAY leider erwähnt werden. Mit seinem Akustik-Gitarren-Ska hat er mich so vor ein bis zwei Jahrzehnten ziemlich begeistert. Ihn erstmalig live sehen zu können, erfüllte mich mit einer gewissen Freude. Allerdings stellte sich keine Begeisterung bei mir ein, eher stilles Entsetzen. Weniger aber wegen seiner Darbietung, sondern eher deswegen, weil ich dafür wirklich mal Begeisterung empfand. Ich hatte da irgendeinen doppelten Boden in Erinnerung, den es offenbar nicht gibt. Einfach nur freundliches auf Zuneigung gepoltes Geklimper im Offbeat.
Auch ging ich mit der festen Erwartung zum Konzert von ATTILA THE STOCKBROKER, dass genau jetzt und hier der Kommunistische Siegeszug wieder beginnen würde. Leider schlief ich auf meinem Stuhl in der ALMOST ACOUSTIC Halle beinahe ein. Falls also etwas hier seinen Anfang nahm, mea culpa, es war nicht abzusehen.

Eine positive Erinnerung hatte ich auch an die letzte CRIM-CD, live waren sie aber unerträglich: Der eindimensional alles übertönende und dauerpräsente Grölgesang macht die musikalische Eintönigkeit nicht erträglicher. Immer wieder erstaunlich, was gute Studios da mittlerweile aus Bands rausholen.

LÄNGST FÄLLIGE WERTSCHÄTZUNG?

Ja, böse Zungen sprechen vom weltgrößten Geriatriepunkfestival. Und auch mir geisterte der Otto Waalkes-Witz im Altenheim herum, mit dem Kaspar auf die Bejahung der Frage, ob sie denn alle da wären, damit antwortete, dass dies aber nicht mehr lange der Fall wäre. JOHNNY MOPED wäre da zu benennen. Die einen waren begeistert, wie er angesichts seiner offenbar altersbedingten Probleme noch die Bühne enterte und ablieferte, andere sahen ein Trauerspiel, das von seinen jüngeren Mitmusikern getragen wurde. Ich selbst kam gar nicht auf die Idee, mir das anzugucken, weil ich, ehrlich gesagt, gar nicht viel mit dieser Pre-Punk-Musik anfangen kann.

NEUENTDECKUNGEN?

Ja, auch dafür sollte es Platz geben. Im PAVILION gab es reichlich Bands von erschreckend geringer Qualität zu hören. Da man diesen zentralen und offenen Bereich häufig passierte, musste man häufig stehen bleiben und kurz mit den Sinneseindrücken kämpfen. War man jetzt so besoffen oder war das wirklich so schlecht? All diese Imitate von unerreichbaren Ideen. Und am Sonntag gab es dazu noch einen Frauentag auf dieser Bühne, der der Sache wohl eher einen Bärendienst erwies. Ohne eine einzelne Band zu erwähnen, das war schon Horrorshow.

Apropos Horrorshow: MERYL STREEK spielte vergangenes Jahr wohl auch dort. Er stach dort so sehr heraus, dass er heuer im riesigen CLUB CASBAH performen durfte. ‚If this is life‘ war mir ja schon seiner Intensität wegen in Erinnerung geblieben, so dass ich gespannt auf den Auftritt wartete. Ja, und dieser junge Mann aus Dublin mit den Vampir-Kontaktlinsen schaffte es, ohne Band mit Musik vom Band durch seine Performance restlos zu packen: Wie ein Getriebener rannte er hin und her, ging ins Publikum, schleuderte seine wütenden Texte heraus… für einen kurzen Moment musste man an diesem Wochenende die heimelige Wohlfühlatmosphäre verlassen.

Ich kaufe kein Svetlanas T-Shirt!

DRUMHERUM

Für viele Menschen gehört BLACKPOOL und das speziell englische Flair ja unbedingt dazu. Es soll sogar Menschen geben, die Anreisen und sich die Kosten für ein Festivalticket sparen, weil man doch sowieso lieber im Kings & Crown sitzt oder vor dem WINTERS GARDEN sein schreckliches Lager trinkt oder den noch schrecklicheren Cider in sich reinschüttet. Ja, Froinde treffen, das ist ganz wichtig, denn ganz viele davon gibt es auf einem Haufen. Und das ist mir persönlich fast schon die einzig nennenswerte Begründung für so einen Veteranentreff, etwas für den beschleunigten Klimawandel zu tun. Auch wenn sie fast ausnahmslos einen miserablen Musikgeschmack haben, ich liebe sie alle.

Ansonsten erschauert man wirklich immer wieder auf das Neue, wie heruntergekommen dieser Ort ist: Leerstand allerorten und Menschen, die aussehen, wie die, die ich nur aus dem Privatfernsehen kenne. Schwangere Kinderwagen-schiebende Bauchfrei-Muttis, die rauchend und fluchend ihre anderen Kinder hinter sich herziehen zum Beispiel. Auch Junggesell*innen-Abschiede spielen hier auf einer höheren Eskalationsstufe als auf der Bolkerstraße in der Düsseldorfer Altstadt. Hier ist eindeutig viel alter englischer Adel unterwegs. Auch dass man auf den Piers nicht nur vermutete, dass man hier einbrechen könnte und metertief auf den Strand fallen kann, sondern dass dies auch tatsächlich passierte, gehört sicher zum speziellen Flair des malerischen (you know, Hieronymus Bosch?) Küstenortes. Nutze jeden Tag, es könnte dein letzter sein! Dieses Motto wird hier zum Credo.

Aber wem sage ich das? Ihr alle kennt das und habt offenbar genug Geld gehabt, euch dieses teure Vergnügen zu gönnen.

RIOTS IN 2024

Da Mari und ich ja unseren Jahresurlaub mit einer Rundreise durch das wunderschöne Nordengland verbanden, bekamen wir die Nachrichtenlage ziemlich unmittelbar mit. Sehr umfangreich berichtete die BBC am Abend des schrecklichen Amoklaufs in Southport. Zur Herkunft des Täters wurde dort gesagt, dass er in Cardiff geboren wurde.

Ich will jetzt gar kein Fass aufmachen, ob das wichtig ist. Mir ist es nicht wichtig, aber offenbar schadete die Salamitaktik, dass der Täter Eltern aus Ruanda hatte. Diese Nachricht wurde erst einen Tag später genannt. Eine Lücke, die die englischen Nazis geschickt mit Falschinformationen füllten: er hieße Ali-Al-Shakati und wäre asylsuchender Muslim. Damit mobilisierten sie überall ihren dumpfen Mob, ihr habt es gelesen. Auch BLACKPOOL blieb nicht verschont. Vor dem WINTERS GARDEN kam es zu einer kurzen heftigen Auseinandersetzung zwischen den Nazis und Gegendemonstranten, ansonsten wurden einfach die Tore des WINTER GARDENS geschlossen, so dass niemand vor die Tür kam, um nonverbale Argumente auszutauschen. Die Polizei hatte alles ziemlich gut im Griff und ich betrachtete mein gerade frisch erworbenes HARD SKIN Shirt „All Coppers are Cunts“ mit etwas anderen Augen.

Überhaupt las ich die deutsche Presse, die mit erheblicher Verzögerung, dafür mit branchenüblicher Übertreibung berichtete, auch mit Befremden. Die Ausschreitungen fanden zu keinem Zeitpunkt so flächendeckend statt, wie einem Überschriften suggerierten. Und unübersichtlich war die Lage auch nicht.  Zwar war es erstaunlich, an wie vielen Orten die Nazis mobilisieren konnten, aber die Gegendemonstranten waren deutlich in der Mehrheit. Man schämte sich auch in der normalen Bevölkerung eher dafür, wie ich Wortfetzen entnahm. So gestalteten sich unsere Wahrnehmungen.

MOMENTE FÜR DIE EWIGKEIT

Wir stehen im EMPRESS BALLROOM an der oberen Balustrade und unten spielen die koreanischen RUMKICKS ein Set, das so unfassbar schlicht ist, dass es beinahe wieder gut ist. Folgendes Zwiegespräch ereignete sich um 4 p.m. Ortszeit zwischen Band und Publikum.

„Do you like drinking?“

„Yeah!“, schallt es aus tausend Kehlen.

„I like drinking everyday. You like drinking everyday?“

„YEAH!“, grölen 1001 trunkene Stimmen zurück.

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