Ich hatte neulich Gelegenheit den Jahresrückblick einer hier nicht näher genannten Radiosendung aus einer großen Stadt am Rhein zu hören. Der war, wie ich das sagen würde, ziemlich hardcorelastig, also so Hardcore, wie er sich in den 90ern in eine Richtung entwickelte, die ihn dermaßen vom 80er-Hardcore entfremdete, dass sich der verschmähte Punk wieder zur besseren Alternative hin entwickelte. Natürlich blieb das nicht so, so dass er heute ebenfalls im Atavismus endet und somit ein sogenanntes Easy Target für Menschen wie mich ist. Das kann der geneigte Leser dieser Seiten ja das eine oder andere Mal lesen. Ein wenig zu Unrecht, wie ich finde.
Vom musikalischen Affenfelsen
Zumindest dann, wenn man die, eingangs erwähnte, Wendung des Hardcores hin zum musikalischen Pendant des Affenfelsen betrachtet. Die Schuldfrage, warum sich aus diesem schönen Genre, das geprägt wurde durch SST, Dischord oder deutsche Labels wie X-Mist, ein testosterongeschwängertes Gitarrengewichse mit Brüllgesang entwickeln konnte, wird hier sicher nicht eindeutig zu klären sein. Für mich tragen sicher der Straight Edge Auswuchs, Lost & Found Records in Deutschland, Bands wie Madball oder die metallischen Schwedencrustbands wie Wolfbrigade die Hauptschuld. Aber außer anekdotischer Evidenz habe ich natürlich, wie auch sonst in musikalischen Dingen, nichts zur wissenschaftlichen Aufarbeitung beizutragen.
Kipppunkte sind erreicht
Aber eigentlich ist das eh alles für‘n Arsch, genau wie 2024: CO2-Ausstoß weltweit so hoch wie nie, genau wie die Temperaturen und das klimabedingte Unwettergeschehen. Klimaziele mittlerweile nicht mehr zu erreichen, weil die Seite, die wenigstens noch so tut, als ob sie sie erreichen will, für sämtliche persönlichen und globalen Miseren verantwortlich gemacht wird, während die Verantwortlichen überall an die Macht kommen. Gutmenschen, Wokeness, Friedensbewegte… mittlerweile Kampfbegriffe, die trefflich dazu taugen, Menschen und ihre Anliegen zu diskreditieren. In einer Welt, die zerfasert und zersplittert, begibt man sich in seine bunten Blasen. Wer aber aber sagt, nutzt das in der Regel nur, um die gegnerische Position als heuchlerisch darzustellen. Rhetorisch geschickt verfängt sich alles in der richtigen Beliebigkeit eigener Positionen. Der Diskurs ist lange tot, auch hier sind gewissermaßen die Kipppunkte erreicht.
Ach herje…
Dass etwas dran sein könnte, an dem was der andere sagt, ist ausgeschlossen. Wer die Toten der militärischen Offensive Israels in Gaza betrauert, wird so automatisch zum Antisemiten, auch wenn er es nicht sein mag. Eine falsch gelikete Spendenaktion oder Kleiderspende kann schon reichen. Irrwege junger Menschen werden hämisch kommentiert und gleich alle ihre Anliegen gleichermaßen als Blödsinn diskreditiert. Dass solche Fragen im Ausland teilweise ganz anders bewertet werden, wird aus deutscher Perspektive natürlich außer Acht gelassen. Schließlich gilt, auf welcher Seite auch immer: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.
Andersherum stehst man natürlich als Rassist da, wenn man die Notwendigkeit der israelischen Reaktion versteht und auch den islamistischen Antisemitismus nicht wegleugnet. Irgendeine argumentative Kontaktschuld lässt sich schon konstruieren. Also besser gleich die Fresse halten und den Rückzug in die innere Migration wagen. Genauso verhält es sich bei der Frage, wie man es sonst so mit dem Frieden hält, als ob sich diese Frage von unseren KI-unterstützten Gräben aus lösen ließ!
Friedensbewegte
Um es vorwegzunehmen: Ich kenne die Argumente, die gegen die diplomatischen Versuche sprechen, eine Lösung am Verhandlungstisch mit Putin zu erreichen. Ich vermute sogar, dass es richtig ist, dass Putin in einer Position der Schwäche sein muss, damit einigermaßen etwas Belastbares bei der Befriedung dieses Konflikts rauskommen kann. Aber muss man den Menschen jeglichen Menschenverstand absprechen, die nicht an militärische Lösungen glauben? Immer sind sie gleich Putin-Versteher, AfD-Wähler (also Nazis) oder Putin-Knechte des BSW. Den maximalen Status, den man ihnen zugesteht, ist es, nützliche Idioten zu sein, die der Propaganda Putins aufgesessen sind. Und ja, natürlich gibt es Fehlinformationen, die innerhalb dieser Blase genau diesen Zweck erfüllen, aber ob eine Bewertung richtig oder falsch ist, zeigt doch immer erst die Geschichte. Dass es mit dem kalten Krieg einigermaßen gut endete, heißt doch nicht automatisch, dass das eine Blaupause für alle anderen Konflikte sein kann. Als ob der Krieg dort in der Ukraine nicht schrecklich genug wäre, ergötzen sich zu viele an ihrem politischen Sachverstand und der vermeintlich moralischen Überlegenheit in ihren warmen Stuben.
Es war echt nicht so gemeint
Und auch dieser kleine Blog hat seinen Anteil an der allgemeinen Verblödung gehabt: Kulturkampf im Kleinen. Ein wenig Sticheln in Richtung der Rituale und ästhetischen Ausrichtung, die es in Teilen der Punkmusik gibt, die mir nicht so gefallen. Ich hoffe, es ist aufgefallen, dass ich es (nicht) nur für ein paar billige Likes getan habe. Bleibt gute Menschen und glaubt daran, dass es andere auch sind!
Durchaus gewagter Ritt über den Baldeney-See, die Abneigung gegen bestimmte Entwicklungen im Hardcore oder auch Punk (T-Shirt an/aus, PunkToo etc.) in eine Reihe mit den Lagerkämpfen um Klima, Nahost oder Ukraine zu stellen, verschweigt der Autor doch dabei elegant die schweigende Zahl (ich will hier nicht anmaßend von Mehrheit sprechen) jener, die “sowohl als auch” musikalisch angesprochen werden und sich dieser Debatte verweigern, weil sie für viele nicht existiert. Gerade unter den jungen Menschen, die sich auf Beatdown- und Metalcore-Konzerten versammeln, erfährt man häufig im Gespräch eine musikalische Offenheit weit jenseits der Grenzen unserer Subkultur, die so manchen Altvorderen abgeht. Vielleicht doch nur ein Generationenkonflikt, und meistens ist bei denen im Elfenbeinturm die Heizung kaputt und der Fahrstuhl tut’s schon lange nicht mehr. Vergleichbar dem ewigen Streit unter Fußball-Fans in ihrer prinzipiellen Ablehnung der “künstlichen” Clubs a la Bayer 04 oder RB Leipzig, die Erfolge feiern, während “die Tradition” in den Niederungen der Wettbewerbe verstaubt. Dem Grundgedanken des Weihnachtsfriedens mag ich mich da sehr gern anschließen, denn Konflikte gibt es auch ohne unsere Beteiligung derart viele, dass ich mich gerne all jenen Kulturkämpfen verweigere, die mir Fronten eröffnen, die in meiner kleinen Randexistenz bisher gar nicht da waren. Ich oute mich da mal als diplomatischer “Umarmer”, was natürlich sehr langweilig ist, aber gut zur Jahreszeit passt.