Dieser Artikel erschien im Jahr 2020 im Plastic Bomb Fanzine und soll hier hier weiter gefunden werden.
Dass die folgend beschriebenen Geschehnisse im Februar 2020 vermutlich als die letzten dieser Art in die Geschichte der menschlichen Zivilisation eingehen werden, wird mir in den letzten Tagen der Corona-Krise immer klarer. Umso wichtiger ist es, die Erinnerung an diese Zeit zu bewahren.
Große Ereignisse müssen groß gefeiert werden, so dachte man damals noch. So steckte Kai Strafe meiner besseren Hälfte Marion und mir auf einer Party anlässlich des 50. Geburtstages von Budde Strafe im Dezember, zu dem Peppone, Panikraum, Klotzs und eben DIE STRAFE in Mönchengladbach zum Tanze aufspielten, dass er gedenke, seine Halbzeitsfeier in einem etwas intimeren aber auch extravaganterem Rahmen stattfinden zu lassen. Schließlich müsse er seinem Ruf als der Dionysos des strafenden Trios gerecht werden. Das Motto ‚Früher war mehr Lametta‘ gelte eben für Budde aber doch nicht für ihn, den bestaussehenden Strafe-Boy. Wir wären eingeladen, raunte er, wenn wir uns der absoluten Verschwiegenheit verpflichteten und dem außergewöhnlichen Dresscode ebenfalls. Es würde Band XY + irgendeine Zahl auf Schloß Strafe spielen. Ob unseres Einwandes, dass dies ja eben eher eine düstere Band sei, winkte Kai lässig ab, denn in Mönchengladbach würden sie als Partyband häufig unter Dimple Minds firmieren und hätten den einen oder anderen anzüglichen Herrenwitz auf Lager.
Unser Interesse – natürlich nur an Kais Geburtstag – war geweckt und der eine oder andere Tropfen Sabbers der Vorfreude ließ uns diesen Bund mit einem Tropfen Blut besiegeln, bevor wir die Frage des Dresscodes klärten. Was hätte der schon besagen können: Entweder das alte ‚Hofgarten‘- oder ‚Blau auffem Bau‘-Shirt anziehen oder das beliebte BeSTRAFEungs-Outfit in Lack und Leder?
Im Februar sollte die große Sause, die in die Geschichte des Punkrocks eingehen und die Latte (höhö!!!) für 50jährige Geburtstage ganz hoch hängen würde, stattfinden. Nähere Infos inklusive der Wegbeschreibung und genauere Ausführungen zum Dresscode würden uns auf postalischem Weg zugestellt werden.
Tja, und so zogen Weihnachten, Silvester, das Lost Lyrics-Konzert im Djaezz und ein Besuch bei Moni in Flingern vorbei, als plötzlich ein unscheinbarer schwarzer Brief, liebevoll mit Silberstift verziert im Briefkasten zwischen der Werbung und der Fanpost lag: Die Einladung zur großen Punkrock-FKK-Sause zu Kais 50isten-Geburtstag mit „zwinker-zwinker“ den Gladbacher Dimple Minds. Hammer!!! Wer kann schon von sich aus sagen, dass die berühmteste Gladbacher Band bei sich auf dem Geburtstag zur Party spielt. Kein Wunder, dachte ich, dass dieses Ereignis wirklich nur einem erlesenen Kreis von ausgewählten Gästen zugänglich war. Endlich mal ein Ereignis, von dem man noch in Jahren sprechen würde, wie vielleicht von Turbonegro im AK 47, Hansafront in der Abriss-Birne oder eben jenen Dimple Minds als Eisenpimmel auf der Plastic Bomb Party. Nur nirgendwo ein Hinweis auf den Dresscode.
Bevor ich jedoch das Telefon ergriff, machte mich Marion auf den FKK-Teil im Kompositum aufmerksam, der schließlich die Bindestrichschreibung refertige. Ach, ich Dummerchen, das mir, was hat die Gesamtschule nur aus einem ambitionierten Grammatiknerd gemacht, schimpfte ich beschämt in mich hinein. Clare et distincte, das decart‘sche Wahrheitskriterium: FKK = Freie Körper Kultur!!! Ein heißkalter Schauer zwischen Schock und Erregung fuhr mir bis ins Mark. Ich also schnell per Whatsapp nachgefragt und das Offensichtliche wurde bestätigt. Und auch die Nachfrage, ob es denn Nachteilsausgleich in Form eines Stringtangas wegen Fimose (ärztlich attestiert!) gäbe, wurde lapidar damit abgeschmettert, dass man die Pimmel der meisten Männer sowieso nicht unter der Fettschicht erkennen könne oder ob ich geglaubt hätte, dass Männer grundsätzlich anders als Wolfgang Wendland aussehen täten? Im Übrigen sei darum ja auch auf der Party das Fotografieren verboten. Und natürlich dürfe deswegen der Name der bekannten Gladbacher Partyband keinesfalls fallen.
Okay, also auf nach der Devise: Amor ist nackt und liebt keine künstliche Schönheit!
Das Schloß Strafe liegt etwas außerhalb einer kleineren Reihenhaussiedlung und es ziert das alte Gladbacher Wappen mit dem St. Ultor, dem Gladbach und Löwen drauf, so dass es zweifellos erkennbar ist. Und in dieser Nacht vor dem Sturm Sabine, und eine Woche nachdem im benachbarten Heinsberg eine folgenschwere Karnevalsfeier gefeiert wurde, sind wir die ersten Gäste neben der Band. Nachdem Kais Vater, ein überzeugter Freikörperkulturschaffender meine Gaderobe annahm und gentleman-like Marion aus ihrer geholfen hatte, wir von Kai in Empfang genommen und ordentlich geherzt worden waren, standen wir zunächst etwas schüchtern herum und lauschten dem Soundcheck in dem Kellergewölbe, den die “Dimple Minds” gewissenhaft durchführten. Ist ja auch merkwürdig, wenn man da eine Band so hautnah im wahrsten Sinne des Worte erlebt, die man sich auch angezogen kaum anzusprechen wagt, weil sie gewissermaßen heilig sind und man sich so ja was kaputt machen könnte. Aber nach und nach trudeln die ersten Gäste an und wir sind damit beschäftig zu gucken ohne zu starren und aufzupassen, möglichst entspannt und wie selbstverständlich am kalten Buffet zu naschen. Ein kleines Glas Altbier eignet sich natürlich hervorragend, um damit die Scham wie zufällig zu bedecken. Und nach und nach kommen wir mit den anderen Gästen ins Gespräch, die vom 25. Geburtstag sprechen, an dem nur die Stripperin nackt war, aber auch schon die “Dimple Minds” gespielt hatten. Den Namen der Funpunkband sprachen aber alle nur außerhalb der Hörweite des Sängers aus, obwohl sie in Gladbach schon sehr lange unter diesem Synonym geführt wurden, wie mir Kopfpunk-Marko steckte. Dies sei so, weil man ihn in dem Glauben ließ, eine ernsthafte Alternative zum Kirmespunk der Hosen oder Slime zu sein. Sein psychischer Zustand ließe da keine andere Wahl und in Gladbach seien alle eine große Familie, die in solcherlei Dingen unfassbar empathisch und solidarisch sei. Das bestätigte mir Kai, der ansonsten erstaunlich gut gebaut von Gast zu Gast hoppelte. Dieses FKK-Ding sei eine Idee des Vaters gewesen, der seinen 50. Geburtstag ganz ähnlich gefeiert hätte. Die VHS-Videos dazu wurden auch später in dem kleinen Kinosaal gezeigt. Dieser Teil sollte der ganzen Veranstaltung auch den Hauch von Kunst geben, denn der Bruch mit dem Ambiente des Schlosses fand durch die 44 Jahre alten Aufnahmen aus einer Reihenhaussiedlung und dem Hauch von 70er-Jahren-Nudisten-Vergnügungen bei Berendsen-Appelkorn statt. Das hatte letztendlich auch die “Dimple Minds aus MG” überzeugt, die die Nacktheit auch als konsequente Steigerung der Konsumverweigerung sahen, die weder Spotify noch Bandmerch erlaubt hatte. Kai hingegen gestand uns, dass er es einfach nur geil fand, alle nackt zu sehen und das überall Kameras versteckt seien.
Letzteres war aber wohl nur ein Scherz, wie mir Torsten, der irgendwas mit Medien macht, versicherte. Die Idee sei aber geil, denn auch Freunde von ihm hätten mit so einem Nacktkram im Fernsehen schon einen Taler gemacht. Den Faden nahm eine ältere Dame, die Désirée oder Nickie hieß, und den ein oder anderen Schwank aus ihrem Leben zum Besten gab.
Mit solchen und ähnlichen Gesprächen verging die Zeit wie im Flug, bis es dann losging. Der kleine Spiegelsaal war rappelvoll, der Drummer saß auf einer 80er-Jahre-Porno-Esstisch-Eckbank und es ging direkt los mit einer Setliste, die sich Kai Strafe gewünscht hatte. Und es war wie Magie: Ob es die Songs der ersten Gehversuche waren, aus der Zeit als die Dinosaurier noch durch Gladbach streiften oder die späteren Partyknaller. Es war unfassbar! Man lag sich Arm in Arm und die Bierkette funktionierte vor und zurück. Dass diese Band soviele Mitsing- und schunkelnummern hatte, war den meisten nicht bewusst. Ob es der Nacktheit oder dem gesteigerten Alkoholkonsum geschuldet war, oder doch den Leuchtsstäben, die dem Publikum gereicht wurden, es ging wirklich dieser Ruck durchs Publikum. Und nicht nur Kai lächelte glückstrunken über all die vielen Lieder und Ansagen, die ihm galten: Überall sah man nur dieses Leuchten und vergaß die eigene Schüchternheit. Eine Polonäse folgte der nächsten und jeder, der dieses Hukkaschakkatöfftöff immer naserümpfend betrachtet hatte, sollte an diesem Abend eine neue Seinsstufe erreichen.
So rauschte der Abend durch bis in die Talkrunden nach der Show, die dann auch deutlich gelöster verliefen. Bekenntnisse wurden gegeben, dass diese Nacktheit fortan auch mehr gelebt werden würde. Sven K., der im Harz eine Igelaufzuchtsstation betreibt, kündigte noch am S-Bahnhof mit dem typischen “Dimple Minds aus MG”-Flair an, fortan im Adamskostüm zwischen den Igeln den Winterschlaf zu halten. Und wer an diesen Ausführungen zweifelt, dem sei gesagt: In nuditate veritas!
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