Zeitreise in die 90er
Ist ja irgendwie eine kleine Zeitreise für mich, denn auf dem Cover sind LOIKAEMIE und im Heft selber ein langes Interview mit Olaf von den STAGE BOTTLES. Da werden Erinnerungen wach. Die STAGE BOTTLES interviewte ich in den 90ern auf einem großen Festival in Mönchengladbach und alle waren ziemlich verschnupft. LOIKAEMIE musste ich mit Frank Herbst zusammen vor dem Plenum des Drucklufts seinerzeit vor dem Grauzonenverdacht in Schutz nehmen, damit sie auf einer Party, die wir veranstalten wollten, spielen können. Da würde angesichts des Interviews im Ox heute keiner mehr draufkommen, denn beinahe altersweise kommt Sänger Thomas daher. Ich habe ihn da noch deutlich patziger in Erinnerung. Entwicklung nennt man das wohl. Die Platte kann ich auch all denen empfehlen, die sich nicht an der typischen Ebelshäuser-Produktion stören. Olaf von den STAGE BOTTLES gelingt es, differenziert genug durch die Geschichte der STAGE BOTTLES zu führen, ohne sich dafür zu verdrehen. Spannend! PEGBOY und SCREAM sind wie selbstverständlich sehr sympathisch, wobei mir gerade beim SCREAM-Interview all dieses nerdige Namedroping ziemlich auf den Keks geht. Das steht aber exemplarisch für die Briefmarkensammlermentalität, die doch gerade bei den Interviews mit älteren Bands oder Szeneaktivisten oft durchscheint. Unterhalten über Pronomen (THE IRON ROSES) oder Furry Fandom (DOG PARK DISSIDENTS) finde ich schon skurril. Wenn man sonst keine Sorgen hat, okay! Szenebusinesstalk über Festivals muss wohl auch sein. Zusammenfassung: Gestiegene Kosten, Awarenessteams, Nachhaltigkeit und extreme Wetterlagen. Recht interessant der Ansatz von LAUT GEGEN NAZIS, sich Markenrechte an beliebten Nazicodes zu sichern, um die Nazis dann abzumahnen. Ich wundere mich aber, dass das tatsächlich durchgeht, da bei LAUT GEGEN NAZIS ja gar keine Verkaufsabsicht besteht und das auch so offen kommuniziert wird. Als ich noch im Business steckte, hat mir im Rahmen von Recherche um die Marke HATECORE mal ein Anwalt erklärt, dass es nicht reicht, sich einfach wahllos Rechte zu sichern, es muss auch verkauft werden. Aber ich bin ja kein Anwalt und kein Nazi. Glück gehabt! Klassischer Fall von Band, mit deren Musik ich überhaupt nix anfangen kann, ich das Interview aber nett finde, sind AMEN 81. Schlechte Laune ist ja auch irgendwie geil. Helge gibt aktive Überlebenshilfe für Menschen, die in den 80ern noch nicht gelebt haben, mit Norwegischem Hardcore aus diesen Jahren. Könnt ihr bedenkenlos nachplappern. Ich warte noch drauf, wann CHAT GPT eine Direktleitung in Helges Gehirn legt, um hier zu den Themen des Euro-Hardcores Kompetenzen zu erwerben. Die PORTERS machen Schluss und haben ein Abschiedsalbum veröffentlicht. Die SPRINTS und TV CULT gehören für mich zu den hervorstechenden neuen Bands. Da gehe ich einigermaßen konform mit den anderen Ox-Schreibern, wie mir die Geschmackskontrolle zeigt. Band der Ausgabe sind natürlich DETLEF, wozu ich selbst beitragen durfte. Hat auch Spaß gemacht, bei der Geschmackskontrolle mitgemacht zu haben. Am meisten Spaß macht es aber, danach zu lesen, was die anderen dazu beigetragen haben.
Ansonsten fällt mir auf, dass ich das Punk & Religion-Interview von Daniel Schubert jetzt schon dreimal versucht habe zu lesen, aber irgendwie bleibe ich immer im Kopfschütteln über diese nicht-religiöse Religionssoziologin Francis Stewart stecken. Dass Straight Edge natürlich quasi-religiöse Züge hat, liegt auf der Hand. Das ist ja bei all den moralisch aufgeladenen Teilgrüppchen so ähnlich. Dass es hier aber auch teilweise faschistoide Ausprägungen gibt, will sie nicht veröffentlichen. Daniel hakt da auch gut nach, und so gibt die Interviewte auch unumwunden zu, dass sie sich das Ergebnis ihrer Forschung so zurechtgelegt hat, wie es in ihr persönliches Weltbild passte. Das scheint mir fast symptomatisch für viele Universitäten zu sein. Offenheit ist hier wohl mittlerweile eine Einbahnstraße und Meinungen sind ausgewogen genug. Keine Ahnung, warum mich das so aufregt, aber diese normative Macht mit der versucht wird, aus den Elfenbeintürmen heraus Diskurse zu prägen, die dann auch immer moralisch motiviert daherkommt, empfinde ich eher als Problem als eine Lösung.
Zum Abregen also noch schnell ADAM ANGST, DERITA SISTERS und DEECRACKS gelesen…
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