Ich liebe die Welt!
Weihnachtskonzert mit NEW MODEL ARMY in Köln. Letztes Jahr verletzungsbedingt kein Thema gewesen, dafür in diesem Jahr die doppelte Vorfreude. Mag ich den alten Zausel doch mittlerweile ganz gut leiden und Mari freut sich auch so sehr. Was soll da schon schief gehen, wenn schon am Dienstag ULTRABOMB gegen jede Erwartung reizend waren? Hm, leider doch sehr viel. Erst einmal die leidige Anreise. Optimistisch planten wir zunächst mit der Bahn: Hin kein Problem, die doppelte Fahrzeit im Vergleich zur fossilen Alternative akzeptabel. Dann die Schocknachricht zu Beginn der Woche. Zwei Vorbands, die keiner braucht. Wer es nicht glaubt, hört sich SCHMUTZKI in der Duisburch, hast du keine Flinte-Liste an. Der solide erwartete Start um 20 bis 21 Uhr verschiebt sich auf kurz vor 22 Uhr, weil die mit ihrer tumben Mischung aus WIZO und BUTTERWEGGE auch noch stundenlang die Bühne blockieren sollten. Bei mindestens zwei Stunden Spielzeit NMA heißt das Köln-Düsseldorf 0:57 Uhr und dann ein ungewisser Umstieg in Düsseldorf. Im besten Fall zwei Stunden. Wer die Bahn kennt, weiß, womit sicherer zu planen ist. Wer mich kennt, weiß, das 49-Euro-Ticket bleibt wieder ungenutzt. Dann das Palladium: Düster erinnere ich mich an das schlechteste SOCIAL DISTORTION Konzert ever: Unangenehmer überfüllter Schlauch mit viel zu vielen Menschen. Da will man sich gar nicht zu lange aufhalten. Also der Versuch mit dem Auto eine Punktlandung hinzulegen. Klappt auch einigermaßen: Danke Opel Astra G! Danke Autolobby! Danke Verkehrsminister! Wir entern das Foyer und es ist ziemlich gut gefüllt. SCHMUTZKI spielen. Klar, dass die Leute flüchten. Dann der nächste Schock: Drinnen ist es auch recht voll. Es gibt einfach keine Fluchtmöglichkeit. Das wird eng. Der Bierstand ist auf Massenabfertigung eingestellt und das ist auch nötig. Helles Licht und Kulturförderungsambiente. Man wird hin und hergeschoben, weil nirgends Platz ist. Zum Klogang geht’s durch ein Karussell. Geil! 80% alte dicke Männer. Hier heißt das G-Wort nicht Gendern sondern Geriatrie. Die Merchquote beträgt auch 80%. Auch hier ein Wert, den NOFX erst mal knacken müssen.
Dann geht es endlich los! Der Versuch bei 4000 Leuten, die dicht an dicht stehen, einen Platz zu finden, der irgendwie schön ist, ist ein nicht lösbares Problem. Irgendein Riese steht immer in der Sicht. Das ändert sich nicht. Warum sind die Menschen alle so groß, will ich Mari fragen, verkneife es mir aber. Wie werden Moses, Nils und Vasco über diese Frage denken? Solche Gedankenspiele halten mich über Wasser. Der Start von NEW MODEL ARMY dann holprig und episch. Von den ersten acht Stücken kenne ich zwei. Das will nichts heißen, aber vermutlich werden unter den sechs anderen Stücken ein paar neue sein. Und – wie soll ich es sagen? – NEW MODEL ARMY haben leider viele Songs, die anfangen, aber nicht weitergehen. Finde ich ja grundsätzlich auch geil, dass eine Band nicht ihre Hits runterdudelt, sondern bei jedem Set eine Wundertüte bietet. Heute gab es also die epischen Stücke, die auch mal mehr progrockig waren. Für‘s Publikum waren es aber eher no killer, just filler. Solche Konzerte schaue ich mir lieber bestuhlt an oder höre die Songs gleich auf CD. Die Anderen anscheinend auch, denn der Funke schien nicht zu springen. Die sonst so heimelige Wohlfühlatmosphäre auf NMA-Gigs kam nicht auf: Zu eng, zu warm und eine schwierige zu vermittelnde Songauswahl. Die sonst charakteristischen Gebärdendolmetscherinnen auf den Schultern waren kaum auszumachen. Dafür ein Typ, der wohl auf den Schultern eines anderen stand. Aus welcher Artistenfamilie der wohl stammte? Oberkörper frei, keine Frage, eine solide Vorstellung… von ihm. Justin redet viel vom Altern, ist sonst eher bissig, sagt selber, dass es heute keine Hits geben würde. Wer das erwartet, hat Pech! Ich denke, das ist der Moment, an dem selbst Martin Kircher Freude an einem NMA-Konzert gehabt hätte. So plätschert das Konzert vor sich hin, während ich mich an die gelungenen Auftritte des letzten Jahres im Melkweg und Zakk erinnere. Drei rausgequälte Zugabenblöcke und am Ende noch ‚I love the world!‘. Da pogen dann auch die schmuddeligen Radkuriere vor uns und ich bin wieder froh, dass die sonst nix zu pogen hatten. Am Parkhausautomat berappe ich dann acht Euro, um festzustellen, dass die Schranke auch ohne Ticket öffnet. Zu Hause sind wir sind vor 0:57 Uhr und ich sende gut gelaunt eine gehässige Nachricht telepathisch ins Paralleluniversum, in dem Mari mit mir gerade auf der Anzeigetafel in Köln liest, dass der Zug gen Düsseldorf ausfällt.
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