Ben Racken – 5 LP und Peppone – Genug gesehen
Manchmal, wenn ich so an der Menschheit verzweifle und mir vorstelle, dass ich ganz alleine bin und nur noch wütend um mich schlagen will, dann wünsche ich mir, in Magdeburg zu wohnen, wo es so tolle Bands wie BEN RACKEN und PEPPONE gibt, die sicher auch gute Menschen sein müssen. Denn wer solche Musik in Zeiten echokammernder Beliebigkeit zaubert, der schafft mir mein mentales Elysium. Dazu ist es ein Fest für den Geist, wenn die Texte nicht klingen, wie durch den Googletranslator ins Deutsche übersetzte englische Texte. Beide Bands schaffen es Bedeutung in ihre Musik zu legen und keine Parolen, die plumpe Gemeinschaft schaffen.
Beginnen wir mit Peppone, die zu der Art Bands gehören, die eine Geschichte haben und in die eine Entwicklung nehmen. Während andere Mal einen rausgehauen haben und alles immer nur eine Variante des Gewesenen ist, schreiten die Jungs voran, entwickeln Musik und Texte. Mit ‚Genug gesehen‘ darf ich hier den vorläufigen Höhepunkt hören.
Ein Album, dem man textlich eine erstaunliche Resilienz gegen allzu oberflächliche und polarisierende Betrachtungsweisen der Welt bescheinigen kann. Das liegt daran, dass sie es zum Beispiel verstehen, Weltgeschehen und die Auswirkungen aus der Sicht des Individuums zu reflektieren. ‚Verrat‘ und ‚Ein Bett‘ sind so zwei Songs, die für Menschen anderswo schon Realität sind, die spüre ich nahezu persönlich. Mehr als 100 Jahre später ist der Ernst Jünger-Sound im medialen Diskurs so hart zu spüren, dass mir angst und bange wird. Oder auch ‚Weg zurück‘: Ein Song, der sicher seiner offenen Lesbarkeit wegen einer der Überhits auf diesem gesegneten Album ist und den ich als eine Abschiebegeschichte lese. Und wenn ich das tue, dann bekommen die anonymen Zahlen eine Geschichte.
Dass das Schlimme in wunderschöne, melancholische Melodien verpackt ist, lässt es tief einsickern und Widerstände überwinden. Das funktioniert mal, wie gerade beschrieben, recht konkret, aber auch wie bei ‚Schwarzer Schmetterling‘ sehr metaphorisch. Diese Hymne an die Dunkelheit ist sicherlich zeitlos schön. Eine Parabel wie ‚Zurück ins Meer‘ zu schreiben, ja, auch das empfinde ich als große Kunst. Der gestrandete Wal und der Versuch, ihn zu retten, sind mehr als die bloße Tat. Auch ‚Der gute Sohn‘ funktioniert so. Kann vielleicht nur der nachempfinden, der seine Eltern und ihr Wirken schwinden sieht.
Aber manchmal möchte man einfach entfliehen und das alles nicht mehr hören. Den Song ‚Du kannst mich morgen’ hat ja Schrankenstein auch toll bebildert. Peppone fächern einfach ein ganzes Spektrum auf, in dem ich mich so oft wieder finde. Da verblasst die repetitive Mittelmäßigkeit, die einem sonst so als wichtige Statements um die Ohren geflattert werden. Dass Peppone immer noch lächerlich wenige Hörer haben, spricht nicht für die Kreise, in denen ich mich bewege.
Auch Ben Racken, die im geschwisterlichen Verhältnis zu Peppone stehen, gehören zu den viel zu wenig gehörten Bands. Die andere Band von Tuba gibt es schon etwas länger und das sechste Album trägt den Titel 5 als Strichliste. Und eigentlich muss man beide Bands auch zusammen hören, denn die Verwandtschaft lässt sich nicht leugnen. Ben Racken haben aber einen deutlich düsteren Klang und sind sperriger, was dem Zugang etwas mehr abverlangt. Die Anstrengungen sind es aber wert.
Manchmal erinnern sie mich an die Fliehenden Stürme. In ihrer Welt finden sich wenige Farben und dem Ende wohnt auch keine Schönheit inne. ‚Ende der Wanderzeit‘ bringt all die Fäden, die wir so im Leben spinnen, auf erstaunlich unprätentiöse Weise zusammen. Für mich ist der Song tatsächlich der Schlüssel zu dem ganzen Album, das textlich die Pfade zwischen großer Bedeutsamkeit (‚Drei Engel‘), Täuschungen (‚Eisgarten‘) und dem erfüllten Leben (‚Helmut‘) beschreitet. Man muss sich die Existenz nicht künstlich überhöhen, aber auch nicht kleiner machen, als sie ist. Mehr haben wir nicht, außer unseren Geschichten und Beziehungen, wenn wir alt werden.
Manchmal wird es sehr konkret für Ben Racken-Verhältnisse. Der Auftakt ‚Freunde bleiben‘ beschreibt die Hilflosigkeit und Wut, wenn Freunde abdriften in die Hölle der unwahren Gewissheiten. Und ‚Schwarzer Peter‘ ist quasi das andere Ende, das Verlieren in die mysanthropische innere Migration.
Natürlich bietet das Album auch die schönen Bilder und Metaphern, in die wir uns so gerne hineinbegeben und in denen wir schwelgen. Wunderbar!
Beide Alben bitte dringend bestellen. Zum Beispiel beim Label Major Label.
Antworten